Unsterbliche Küsse
groß, als dass ich unnötigerweise mit Menschen verkehren würde.«
Christopher! Dixie rieselte es kalt den Rücken herunter, als sie das Klopfen hörte. Es konnte nur er sein, aber sie wollte ihn einfach nicht sehen. Die Wut und Verzweiflung, nachdem sie ihr Notizbuch in seiner Küche gefunden hatte, hatten sich in kalten Schmerz verwandelt. Sie hatte ihm vertraut, und zum Dank schnüffelte er in ihrem Privatleben herum. Christopher wollte etwas von ihr. In Ordnung. Er konnte die Bücher haben, auf die sie sich geeinigt hatten, aber weiter nichts.
»Hi«, sagte sie. Was sie sonst noch sagen wollte, blieb ihr im Hals stecken. Er war zu schön. Sein nachtschwarzes Haar leuchtete im selben Licht vom Eingang her, das auch seinen Umhang aus Leder erglänzen ließ und die Blässe seiner Haut in Perlmutt verwandelte. Sein Lächeln war zum Dahinschmelzen.
»Hallo, Dixie«, sagte er mit seiner melodischen Stimme, und Dixie fühlte sich in ihren Wohlklang eingehüllt. In ihr kribbelte es vor hoffnungsvoller Erwartung und Erregung. Sie spannte jeden Muskel in ihrem Rücken, nahm gewissermaßen Haltung an.
»Hallo, Christopher, was gibt’s?« Dieser Gesprächston sorgte für die nötige Distanz.
»Ich bin für ein paar Tage weg gewesen.«
Das war zwar eine Erklärung für das verlassene Haus, aber nicht für das davor geparkte Auto. »Und war’s schön?«
»Ich war zu Besuch bei einem Freund in der Stadt.«
Was spielten sie da nur für ein lächerliches Theater! Eine Unterhaltung zwischen Tür und Angel, als wäre er irgendein Hausierer. Sie musste das beenden, denn ins Haus wollte sie ihn nicht lassen. Sie fürchtete, in seiner Nähe schwach zu werden. »Ich hab die Bücher heute nach Guildford gebracht. Die Schätzung müsste am Freitag vorliegen.«
»Wunderbar. Du sagst mir dann, wie viel sie kosten.« Er kam einen Viertelschritt näher. »Kann ich reinkommen?«
»Nein!« Es klang wie ein gedämpfter Schrei, der ihr schier das Herz zerriss. »Jetzt nicht.« Zehn Minuten in ein und demselben Raum mit ihm und ihre Standhaftigkeit wäre dahin. »Es passt gerade nicht.« Sie machte eine Bewegung mit dem Kopf, um anzudeuten, dass jemand im Haus war. Die Lüge tat ihr in der Seele weh, und Christophers entsetzter Gesichtsausdruck ließ sie erschaudern.
»Natürlich«, sagte er und trat einen Schritt nach hinten ins Dunkel. Ein Schatten schien sich über sein Gesicht zu legen. »Lass wieder von dir hören, Dixie. Wenn es passt .«
In der Dunkelheit sah sie ihn nicht einmal das Gartentor erreichen. Sie machte die Tür zu, schloss ab und lehnte sich dagegen. Ihr Herz raste wie verrückt, ihre Brust bebte so sehr, dass jeder Atemzug schmerzte. Das Blut in ihren Adern brodelte, pochte in den Schläfen und brauste wie eine schäumende Flut gegen einen Damm, der zu brechen drohte. Sie sehnte sich nach Christopher, nach seiner Umarmung und der warmen Zärtlichkeit seiner Lippen. Schluss damit! Niemals. Jetzt nicht.
Der Schmerz zerriss ihr fast die Eingeweide. Sie presste sich gegen die schwere Eichentür wie angezogen von einer Kraft da draußen. Sie schüttelte sich und wollte seinen Namen rufen, der Schmerz aber erstickte jeden Laut bis auf ein Stöhnen. Sie sank in sich zusammen, wackelig auf den Beinen wie ein neugeborenes Fohlen. Sie lehnte sich gegen den Briefschlitz, umklammerte den Türknauf, andernfalls wäre sie auf der Fußmatte zusammengebrochen.
Atem und Herzfrequenz beruhigten sich allmählich. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und stolperte zurück in die Küche. Auf dem Tisch standen die Reste einer halb aufgegessenen Ofenkartoffel. Nun reichte es! Sie hatte die Nase endgültig voll von den Männern! Sobald sie ihm die Bücher verkauft hatte, wollte sie nichts mehr zu tun haben mit Christopher Marlowe.
Christopher sprang von der Treppe hinunter wie von einem Schlag getroffen. Welche hinterhältige Person war da bei Dixie? Sebastian mit seiner schmierigen und verschlagenen Art? James mit seinem kranken Hirn? Er war rasend vor Eifersucht und hätte beinahe den Verstand darüber verloren.
In einem Ansturm von Wut verwandelte er sich und raste durch den Nachthimmel gen Osten, bis er das Stadtzentrum erreicht hatte. Er steuerte seinen gewohnten Stützpunkt ganz oben auf der Kuppel von St. Paul’s an. Merkwürdig, wie
oft er hierherkam, um sich auszuruhen – aber er hatte den Ausblick seit jeher gemocht, seit dem Wiederaufbau von
St. Paul’s nach dem Großen Brand von London. Sein Blick fiel nach unten
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