Unsterbliche Küsse
Hör mir jetzt zu. Die bist ein Vampir, hab ich recht?«
Er nickte. Eine harmlose Frage; damit bestätigte er lediglich, was sie vor ein paar Stunden zweifellos selber herausgefunden hatte.
»Wer hat versucht, dich umzubringen?«
»Leute, die mich lieber tot sehen.«
Ihre Augenbrauen stießen fast aneinander. »Sehr witzig, wie wär’s mit einer …« Sie unterbrach sich mitten im Satz, als die Klingel anschlug. Sie stand auf und ging zur Tür, drehte sich aber noch mal um, die Stirn sorgenvoll gekräuselt. »Ich schau nach, wer es ist.«
Die Haustür fiel ins Schloss, und Dixie kam mit einem Stapel blauer Hefte zurück. »Es war Emma. Ich bin sie losgeworden, indem ich mich bereit erklärt habe, das Pfarrblatt auszutragen.« Sie knallte den Stapel auf die Anrichte und setzte sich wieder hin. Wenn sie doch stehen geblieben wäre. Das Hühnerblut hatte ihm erst richtig Appetit gemacht, und nun roch er das ihre. Er hörte förmlich, wie es unter der warmen Haut pulsierte, stellte es sich warm auf seiner Zunge vor. Der Gedanke an ihren Lebenssaft brachte sein Hirn in Wallung. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als ihren Kopf nach hinten zu beugen, seine Fangzähne in ihre weiche Haut zu schlagen und sie bis auf den letzten Rest auszusaugen.
Und sie möglicherweise umzubringen. Er umklammerte die Tischkante und kämpfte gegen sein Verlangen an. Er musste fort von hier. So schnell wie möglich. Ehe Caughleigh und seine Kumpane entdeckten, dass es keine Überreste von ihm gab. Ehe jemand am Hintereingang klopfte und ihn bei seinem Tête-a-Tête mit Dixie überraschte. Und ehe sein Überlebenswille seinen Respekt für Dixies Leben besiegte. Er würde auf der Stelle lossausen, aber er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wie sollte er sich da verwandeln – oder gar durch die Lüfte fliegen.
Sie näherte sich ihm über den Tisch hinweg, bis ihre weiche Hand seine geballte Faust umfasste. »Du siehst noch immer mitgenommen aus, Christopher. Brauchst du noch was?«
Das war nicht der richtige Moment für die ganze Wahrheit. Er hielt inne. »Ich brauche deine Hilfe. Um zu fliehen. Hier kann ich nicht bleiben. Um unser beider willen.«
Ihr Blick wirkte nun nicht mehr besorgt, sondern hoch konzentriert. »Kann ich dich irgendwo hinbringen? Zu Fuß kommst du nie nach Hause.«
»Fahr mich bitte in die Stadt. Nach London.« Bei Tom wäre er in Sicherheit. Darüber, wie Tom reagieren würde, wenn er im Auto einer Sterblichen vor seinem Haus vorfuhr, würde er sich später Gedanken machen.
Sie zögerte keine Sekunde. »Einverstanden. Ich muss nur noch einen Blick auf die Karte werfen, die ich von Stanley habe. Oder vielleicht weißt du den Weg.«
»Ich weiß den Weg.«
Sie fuhr entsprechend vorsichtig, denn er war, wie ein Blatt im Wind, mal bei Bewusstsein, dann wieder nicht. »Ich bin dir ewig dankbar dafür«, sagte er.
»Ich komm dann später mal zum Sammeln.«
»Sag mir Bescheid, wenn wir bei Hyde Park Corner sind«, sagte er und fiel in den Sitz.
Dixie hoffte, sie würden überhaupt so weit kommen. Sie war versucht, ihn gegen seinen Willen ins nächste Krankenhaus zu bringen, aber er hatte recht. Sie konnte nicht ankommen und sagen: »Ich hab da einen verletzten Vampir.« Man würde sie einsperren.
Kurz vor einem Kreisel bekam sie Panik, aber sie meisterte die Situation souverän, und hätte sich selbst auf die Schulter geklopft, wenn sie nicht beide Hände am Lenkrad für einen Spurwechsel gebraucht hätte. Der Verkehr wurde ständig dichter. Als sie nahe Wandsworth in einem Stau steckten, warf sie einen Blick auf Christopher. Er war unheimlich grau.
Die Straßenlampen warfen merkwürdige Schatten und illuminierten die leere Augenhöhle und die eingefallenen Wangen. Sie kämpfte sich weiter durch den irren Verkehr. Es war früher Abend, an die Rushhour wagte sie gar nicht zu denken.
»Wir sind da, Christopher, Hyde Park Corner.«
Seine Augen blieben geschlossen, aber er hatte sie gehört. »Jetzt die Piccadilly entlang.« Sie musste sich konzentrieren, um seine Stimme bei all dem Verkehrslärm zu hören. »Hier jetzt links.« Sie registrierte den Namen, Half Moon Street. »Jetzt wieder links … die zweite rechts … bis ans Ende, dann links.« Eine schmale Straße bog unvermittelt ab, an der Ecke ein Pub, The Red Lion . »Jetzt durch die Einfahrt.« Dahinter waren hohe Mauern mit Häusern davor und ganz am Ende wieder eine Mauer mit einem schwarzen Garagentor. »Hier wohnt Tom. Du kannst drinnen
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