Unsterbliche Küsse
hartnäckig. Er hatte sich verhalten wie die Kreatur, für die sie ihn hielt. Sie hatte ihm das Leben gerettet. Der Himmel wusste wie. Er hatte kaum den Kopf heben können, als Caughleigh und seine Helfershelfer gegen Mitternacht aufkreuzten. Der Morgendämmerung sah er durch einen Nebel von Schmerzen entgegen, und als dann die Sonne aufging … Ihm graute, wenn er nur daran dachte.
Sie hatte ihn hier bis zum Abend sicher versteckt, hatte ihn von der verhexten Klinge erlöst und zum Dank dafür hatte er sie mit seiner Blutgier zu Tode erschreckt. Er sah an seinem erstarkenden Körper nach unten. Abel! Kein Wunder, dass sie die Flucht ergriffen hatte. Wahrscheinlich fürchtete sie, er würde sie auf der Stelle vergewaltigen. Er schuldete ihr ein Dutzend Erklärungen und hatte höchstens ein paar zur Hand. Aber jetzt sollte er sich besser mal anziehen. Die blaue Plastiktüte lag unberührt auf dem Boden.
Sie hatte recht, sein Stil war es nicht, aber es verdeckte die Blöße. Er zog den schwarzen Trainingsanzug heraus und förderte weiterhin Unterwäsche, Socken und ein Paar weiche Baumwollpantoffeln zutage. Sie war wirklich ein Schatz! Selbst für Zahnbürste samt Zahnpasta, Kamm und Wegwerfrasierer sowie Rasierschaum und Deo in speziellen Reisedosen hatte sie gesorgt. Wirklich gebrauchen konnte er nur den Kamm. Sie musste noch viel lernen über Vampire, und je länger sie im Ungewissen blieb, umso besser für alle.
»Dixie?«, rief er und klopfte an. Er wollte sie nicht wieder erschrecken.
»Hallo.« Sie sah auf und lächelte. Ihre Schultern entspannten sich, als sie auf ihn zukam. Hatte sie etwa erwartet, er würde nackt hereinplatzen? Vielleicht.
»Danke noch mal.«
Sie lächelte verlegen. »Es gibt Blut.« Sie zeigte mit dem Kopf auf den Glaskrug auf der Mitte des Küchentischs.
Ihm winkte ein wahres Festmahl, allein der schwere Duft berauschte ihn. Instinktiv umklammerte er den Krug mit beiden Händen und trank ihn in einem Zug aus. Er genoss den süßen Geschmack auf seiner Zunge, als die Kraftnahrung durch seine Kehle floss und ihn von innen her wärmte. Neue Kraft strömte in seine Extremitäten. Er leerte den Krug bis auf den letzten Tropfen, und sein Auge blickte über den Glasrand hinweg auf Dixie. »’tschuldigung. Wir sind keine besonders elegante Spezies, was die Ernährung anbelangt.«
Sie nickte, ihr Gesicht deutlich blasser als noch zuvor. »Serviette gefällig?«, sagte sie und hielt ihm ein Stück Küchenkrepp hin. Er würde es zweifellos brauchen.
Als er sich hinsetzte und sich den Mund abwischte, durchfuhr ihn ein entsetzlicher Gedanke. »War das dein Blut?« Er hatte mehr als ein Pint genossen. Wie war es möglich …?
»Huhn.«
»Kein Federvieh hat so eine Menge.«
»Das nicht, aber in dem Krug steckten zehn Kilo Hühnerleber. Ich habe ja schon einiges erlebt, seit ich hier bin, aber der heutige Tag war definitiv der Höhepunkt.«
»Für mich war es auch nicht gerade ein Durchschnittstag.«
Ihr Lachen hellte die Spannung etwas auf; ihn erinnerte es an die übermenschliche Kluft, die zwischen ihnen beiden lag. »Du siehst schon viel besser aus und nimmst auch wieder Farbe an. Du warst kreidebleich …« Sie unterbrach und biss sich auf die Lippe. Mitgefühl umflorte ihre Augen.
»Ich war so weiß, weil ich dringend Nahrung brauchte. Der Hunger in Verbindung mit den Qualen hätte mir fast den Garaus bereitet.« Er streckte die Hand über dem Tisch aus und zwang Dixie per Willenskraft, stillzuhalten. Er umschloss ihre warmen Finger mit seinen kalten Händen. »Ich verdanke dir meine Existenz, Dixie. Du kannst von mir verlangen, was du willst.« Was hätte er ihr sonst noch anbieten können? Als wäre es noch nicht genug gewesen, ihn zu
retten, hatte sie auch noch den ganzen Nachmittag damit zugebracht, Hühnerlebern aufzutauen, um Blut für ihn zu gewinnen – und das, obwohl sie nicht einmal ein Schinkensandwich essen konnte.
»Für den Anfang könntest du ein paar Fragen beantworten.«
Und am Ende würde er sie in Gefahr bringen, wenn sie herausfinden würden, dass er nicht tot war. »Vielleicht ist es besser, wenn du im Ungewissen bleibst.«
Ihre Augenbrauen hoben sich über den strahlend grünen Augen. Die meisten Sterblichen würden beim Anblick seines entstellten Gesichts zurückschrecken. Aber nicht seine Dixie. »Ich lass es mir durch den Kopf gehen.« Sie zog ihre Hand weg, und er spürte wieder die Kälte zwischen seinen Handflächen.
»Dixie …«, begann er.
»Nein.
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