Unsterbliche Liebe
nicht nötig war. Ihre Beine waren so glatt wie vor ein paar Tagen, als sie sie das letzte Mal rasiert hatte; das Leben als Vampir zeigte von Tag zu Tag immer neue Vorteile. Sie duschte sich ab und cremte sich mit der Duftlotion ein, die sie sich an diesem Vormittag zusätzlich gegönnt hatte. Immerhin würde sie ja nun dank wegfallender Besuche im Schönheitssalon ein kleines Vermögen sparen. Sie bereute es fast, nicht doch auch eines jener Spitzenteile genommen zu haben, mit denen Angela und Jane sich eingedeckt hatten; aber ihr praktischer weißer Baumwollslip tat es auch.
Dann schlüpfte sie in ihre neue Hose und das Oberteil. Das weiche Strickmaterial umschmeichelte ihre Haut, als sie mit den Händen daran entlangstrich und sich wünschte, sie könnte sich im Spiegel sehen.
Aber diesen Fehler würde sie nicht noch einmal machen. Vor wenigen Tagen hätte sie sich beim Zähneputzen beinahe verschluckt, als ihr sämtliche Ungereimtheiten ihres Lebens widergespiegelt wurden. Normalerweise hätte sie längst alle Spiegel aus dem Haus geworfen, aber das wäre ja Sam aufgefallen. Den Ganzkörperspiegel an der Tür hatte sie mit einem Handtuch verhängt, und jenem über dem Waschbecken ging sie einfach aus dem Weg.
»Hey, Mom, du siehst toll aus!« Sam sah von seinen Heften und Stiften auf.
Sie brauchte gar keinen Spiegel, sie hatte ja Sam. »Gefällt’s dir?«
»Sehr sogar!« Er sah sie von der Seite an. »Du gehst oft aus in letzter Zeit.«
Dem konnte sie nicht widersprechen. »Stimmt. Aber du hast nichts dagegen, mit Dixie hierzubleiben, oder?«
»Nö.« Dixie wurde quer über den Tisch hinweg mit einem breiten Lächeln bedacht. »Wir kommen gut miteinander aus.« Er beugte sich wieder über seine Malsachen. »Bleibt Dr. Corvus über Nacht?«
»Das ist eine Sache, die wir beide entscheiden werden.« Aber sie hoffte es doch inständig.
Sam wählte mit Bedacht einen grünen Stift aus. »Ich hoffe es. Du bist am Morgen immer so hübsch, wenn er hier ist.«
Stella schluckte schwer. Aus Angst, loszuprusten, wagte sie es nicht, Dixie anzusehen. Das unterdrückte Husten vom anderen Ende des Tisches her ließ vermuten, dass sie mit demselben Problem zu kämpfen hatte.
Gott sei Dank klingelte es just in diesem Moment an der Tür, und Stella verzog sich schnell.
Mit Justin durch die Nacht zu gehen, war ein unglaubliches Vergnügen. Es waren nicht nur seine Gegenwart und seine Hand in ihrer und die Vorfreude auf später. Die Nacht selbst war wie verwandelt. Oder hatte sich ihre Wahrnehmungsfähigkeit gesteigert?
Sie hatten in einer dunklen Ecke des Zooparkplatzes geparkt und innerhalb kürzester Zeit einen hohen Zaun übersprungen. Nun näherten sie sich den Tiergehegen, und durch die Dunkelheit und das Rascheln des Windes in den halb entlaubten Bäumen hindurch wurde es plötzlich lebendig um Stella. Sie hörte den Herzschlag von Hunderten Tieren aller Art, den Schrei einer Nachteule in den Bäumen und das entfernte Brummen eines Automotors. Justin hielt sie fest an der Hand und führte sie durch das knöcheltiefe Gras. Er zeigte ihr, wie man auf Wildtiere einwirkt, damit sie beim Saugen still hielten. Einen Löwen lammfromm vor ihr liegen zu sehen, versetzte sie in einen wahren Machtrausch, ähnlich dem, wie sie ihn gehabt hatte, wenn sie Gebäude erkletterte oder in rasendem Tempo durch die Landschaft fegte. Was würde sie noch alles vermögen? Welche Wunder und Grenzüberschreitungen würde sie mit Justin noch erleben?
Nachdem sie gespeist hatten, ließen sie es sich unter den Bäumen gut gehen. Justin erzählte von seiner Klinik in Yorkshire und der Schönheit der dortigen Umgebung, und sie fühlte sich wie magisch angezogen, von diesem Land, das immerhin ihre Heimat war. Sollte sie Justin dorthin folgen? Ein paar Jahre lang würde Sam es sicher aushalten in England. Und zur Schule gingen die Kinder dort auch, oder? Vielleicht könnten sie ja in ein paar Monaten, wenn die Schule zu Ende war, zu Besuch hinfahren, und wenn es Sam gefallen würde … Daran hatte sie keinen Zweifel, und sie wünschte sich nichts so sehr wie ein gemeinsames Leben mit Justin.
Ihrer Mutter hatte sie etwas versprochen, aber wenn sich ein Mieter für das Haus finden ließe? Vielleicht könnte man ja Angela und Jane darin wohnen lassen. Möglicherweise hatte sie Justins Angebot allzu eilfertig abgelehnt. Morgen würde sie das mit Mom klären.
»Du bist sehr still.«
Stella lächelte Justin zu, betrachtete eindringlich sein
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