Unsterbliche Liebe
los. Und danke noch mal.«
»Sam ist doch so pflegeleicht, und Kinder machen ja auch Spaß. Fahr vorsichtig.«
Stella fuhr in der Tat vorsichtig und langsam. Wozu sollte sie sich auch beeilen? Sie hasste diese zweiwöchigen Fahrten zu ihrer Mutter, hasste die Eingangskontrollen, die Fragen und Durchsuchungen und die verschlossenen Türen. Und am Ende dieser Prozedur musste sie sich die Klagen und Schuldzuweisungen ihrer Mutter anhören. Stella sagte sich jedes Mal, ihre Mutter stehe unter Druck – verdammt, sie war im Gefängnis und hatte das Recht, zu jammern –, und es sei ihre Pflicht als Tochter, sie zu besuchen. Aber wenigstens ab und an wäre es doch auch sehr schön, mit einem Lächeln und einem Dankeschön begrüßt zu werden.
Gegen ihr schlechtes Gewissen ankämpfend, parkte Stella ihr Auto und stellte sich gelassen den Maßnahmen des Sicherheitspersonals.
Bei ihren ersten Besuchen war ihr der gelangweilte, unbeteiligte Blick der anderen Besucher im Kontrolltrakt aufgefallen. Mittlerweile, vermutete sie, hatten ihre Augen längst denselben Ausdruck angenommen. Es war ein Mittel, die Demütigung leichter wegzustecken.
»Spät bist du dran.«
»Entschuldigung. Aber es gibt eine Baustelle auf dem Weg hierher. Mit der Gegenspur sind sie schon fertig, jetzt ist die andere dran.« Es war mehr als offensichtlich, dass Mom nicht daran interessiert war, von Straßen zu hören, die sie selbst in den nächsten Jahren nicht befahren würde. »Sam ist jetzt richtig gut in der Schule.« Sams Lernfortschritte langweilten sie nur geringfügig weniger. »Hast du das Klassenfoto bekommen, das ich dir gemailt habe?«
»Hab ich ja. Sieht nett aus, dein Junge.«
Stella war schon dankbar für dieses Fünkchen Anerkennung. »Wirklich, Mom, und er wächst wie der Teufel.«
»Und wann krieg ich ihn nun endlich mal zu sehen?« Die Stille wurde durch den vorwurfsvollen Gesichtsausdruck ihrer Mutter noch unerträglicher.
»Mom, du weißt, wie ich darüber denke. Ich finde, das hier ist nicht der passende Ort für Kinder.«
»Andere Gefangene bekommen auch Besuch von ihren Kindern und Enkelkindern. Wahrscheinlich schämst du dich, deinem Sohn zu sagen, dass seine Großmutter im Knast sitzt.«
Wenn Mom es schon so direkt gesagt hatte … »Ich finde, dass er das zum jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt wissen sollte.«
»Ich hab’s doch gesagt!« Moms schmale Augen blitzten. »Du schämst dich wegen mir.«
Stella schluckte die genaue Antwort hinunter. »Mom, das ist es nicht.« Sie sah ihrer Mutter direkt in die skeptischen Augen, während sie weitersprach. »Ich schäme mich nicht deinetwegen, du bist doch meine Mutter. Aber ich tue alles, um Sam zu einem rechtschaffenen und ehrlichen Menschen zu erziehen, und ich halte es einfach nicht für richtig, ihm jetzt zu sagen, dass seine Großmutter wegen eines Bankraubs einsitzt.«
Mom ließ es sie deutlich spüren, wie verletzt sie war. »Verstehe.« Sie verzog den Mund zu einer schmalen, straffen Linie. »Aber so ist es nun einmal. Das Nächste ist dann wohl, dass du zu stolz bist, um mich überhaupt noch im Gefängnis zu besuchen.«
»Niemals, Mom!« Der Vorwurf schmerzte. »Ich habe dich immer besucht, und daran wird sich auch nichts ändern. Hab ich dir das nicht versprochen?«
Mom winkte geringschätzig mit der Hand. »Ja, du hast es versprochen, und du wirst mich schon nicht im Stich lassen. Der Punkt ist nur, ich halte es hier nicht mehr aus. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchmache.«
Wie sollte sie auch. Aber schon das Wenige, das Stella gesehen hatte, war mehr als trostlos – jedoch nicht so trostlos, dass sie deshalb ihre regelmäßigen Besuche gestrichen hätte. »Nein, Mom, kann ich nicht, aber ich komme, so oft ich nur kann.«
»Du könntest jede Woche kommen.«
»Könnte ich, ja, aber dann hätte ich keine Zeit mehr, mich um das Haus zu kümmern.«
Das war der erhoffte Themenwechsel. »Wie steht’s um das Haus?«
»Gut. Unlängst musste ich die Toilette austauschen lassen, aber sonst ist alles in Ordnung.« Abgesehen natürlich von den kriminellen Nachbarn und dem nur zwei Häuserblocks entfernten Drogenumschlagsplatz.
»Wunderbar. Ich sehe, Mädchen, du machst das sehr gut. Ich freu mich jetzt schon auf den Tag, an dem ich meine Zeit hier abgesessen habe.« Und Stella würde lieber heute als morgen umziehen. Hätte sie bloß dieses Versprechen nie gegeben … »Ich hänge nun einmal sehr an dem Haus, verstehst du.«
»Ja, Mom.« Das war
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