Unsterbliche Versuchung 2
ihm dabei zugesehen, wie er sich murmelnd im Bett umher gewälzt hatte. Seine schönen, rosigen Lippen hatten sich geöffnet und wieder geschlossen, indes er zusammenhangloses Zeug nuschelte. So entspannt hatte er ausgesehen, so friedlich, doch nun huschte die Angst wieder über sein Gesicht und seine wunderschönen Augen blickten ziellos umher.
„Warum … lebe ich noch?“ Seine rechte Hand wanderte zu seinem Hals und er knetete kurz seinen Nacken.
„Ich hatte nie vor dich zu töten.“
„Warum nicht?“ Überraschung schwang in seiner Stimme mit.
Ich wollte zu ihm gehen und ihn in den Arm nehmen. Ich wollte ihn halten und ihm sagen, dass ich ihm niemals wehtun würde, niemals! Aber ich blieb stehen, steif und angespannt und himmelte stumm sein niedliches, sorgenvolles Gesicht an.
„Das ist nicht von Belang.“
Er schwang die Beine aus dem Bett und versuchte aufzustehen. Plötzlich kam mir mein Schlafzimmer winzig klein und beengt vor.
„Damals hast du mich auch nicht getötet.“
„Ich wollte die wertvollen Bücher nicht mit deinem Blut besudeln“, bemerkte ich trocken und registrierte die Schauer, die über seinen Rücken rieselten. Unsicher sah er auf, blinzelte und senkte eingeschüchtert den Kopf.
„Nicht in der Bibliothek.“ Er flüsterte so leise, dass ich die Worte von seinen Lippen hätte ablesen müssen, wenn ich ein Mensch gewesen wäre. „Das meine ich nicht.“
Ich wusste genau wovon er sprach. Es war der Grund, wieso er noch hier war und ich ihm nicht die Erinnerung an mich gelöscht hatte. Denn so alt ich auch war, meine Kräfte reichten nicht aus, um Geschehnisse auszuradieren, die fast zwanzig Jahre zurücklagen.
Als ich in seinem Kopf nach unserem ersten Aufeinandertreffen suchte, schoss eine weitere, sehr alte, Erinnerungen durch seinen Kopf. Ein Bild hatte sich in dem Augenblick vor sein inneres Auge geschoben, als ich in der Bibliothek von ihm heruntergeklettert war, damit seine Verlobte mich als Hure beschimpfen konnte - Ein Bild von mir!
Klitschnass hatten meine damals kinnlangen, blonden Haare in meinem Gesicht geklebt. Ich hatte den Namen
Brenda Wood
getragen und mich als Kellnerin in den Clubs herumgetrieben, ehe ich Jahre später eine weitere, neue Identität angenommen hatte, da ich in Boston bleiben wollte. Wassertropfen waren von meiner blassen Haut geperlt und ich hatte auf den kleinen durchnässten Körper in meinem Arm geblickt. Hinter uns toste der Charlston River ohrenbetäubend. Meine Augen waren blutunterlaufen und die Fangzähne waren so deutlich zu erkennen, dass es absolut keinen Zweifel daran gab, dass ich kein Mensch war.
Neben mir stand ein kleiner Junge und sah zu mir auf, auch seine Kleidung war durchnässt und er schluchzte herzzerreißend. Der Kleine klammerte sich an meinem Hosenbein fest, er reichte mir kaum bis zur Hüfte, und versuchte nach der winzigen Hand zu greifen, die dem Kind auf meinem Arm gehörte und leblos herunterhing.
Ich schluckte heftig und spürte das schmerzhafte Pochen in meiner Brust. Toma tapste unbeholfen durch den dunklen Raum.
„Ihr hättet auf eure Mutter hören und nicht bei strömendem Regen am Fluss spielen sollen!“, flüsterte ich mit belegter Stimme.
Ich hatte diesen Tag erfolgreich aus meinem Kopf verbannt, sonst wäre ich damals daran zerbrochen. Und ich hatte mir so sehr gewünscht, niemals wieder daran erinnert zu werden. Doch da stand er! Toma Jenks, fünfundzwanzig Jahre alt. Er hatte überlebt, damals. Seine Schwester hatte ich nur noch tot aus dem reißenden Gewässer ziehen können. Ich hatte mir wochenlang deswegen Vorwürfe gemacht.
Vorwürfe deswegen, weil ich die Schreie der Kinder zwar gehört, sie aber ignoriert hatte. Ich war genervt gewesen in dieser Nacht und wollte einfach nur noch nach Hause. Schlecht gelaunt war ich durch den strömenden Regen gestampft. Schließlich waren die Schreie erstorben. Ich blieb lauschend stehen. Die Vermutung eines Familienstreits lag nahe. Und ganz plötzlich, aus der tiefen, glucksenden Dunkelheit des Flusses, tauchte das hilflose Keuchen eines Kindes auf, hustend, schluchzend. Wie von der Tarantel gestochen war ich zum Fluss gerannt. Gerade da tauchte der wie ein heller Stern leuchtende Haarschopf wieder unter, wurde von den Wassermassen mitgerissen.
„Du bist es also doch“, flüsterte Toma und fuhr sich mit beiden Händen durch das abstehende, blonde Haare.
Die Erinnerungen des Kindes hatte ich nicht gelöscht. Er war fünf Jahre alt gewesen und ihm hätte sowieso
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