Unsterbliche Versuchung 2
auf den von meinem Atem beschlagenen Spiegel. Ihr herzförmiges, lächelndes Gesicht mit den dunkelbraunen, glatten Haaren tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ihre grasgrünen Augen glitzerten wie verrückt als sie mich anlächelte. Nach all der Zeit hatte ich sie nie vergessen. Nicht sie, nicht meinen Dad und auch nicht meine kleine Schwester. Um jene am Leben zu halten, die ich liebte, hatte ich so viel aufgegeben. Für nichts und wieder nichts!
Ich hatte dem Vampir, der in einer eisigen Winternacht in unsere Hütte eingedrungen war, meinen Körper überlassen. Er hatte versprochen sie alle am Leben zu lassen, wenn ich ihm gab, wonach er sich am meisten sehnte. Meinen Körper und mein Blut. Doch er hatte mir so viel mehr genommen. Anstatt sie alle zu retten, hatte ich sie in den sicheren Tod geführt.
„Ich bin fertig“, murmelte Toma draußen.
„Ich komme.“
Rasch blinzelte ich die salzigen Tropfen aus meinen Augen und öffnete die Tür.
Unsere Blicke trafen sich und er drückte sich, in dem viel zu großen Anzug, an die Wand neben dem Flachbildfernseher, die Unterkiefer fest aufeinander gebissen. Sein Herz hämmerte wild. Adrenalin heizte durch seine Blutbahn.
„Ich werde dich nicht töten!“, gab ich ihm zu verstehen, doch er entspannte sich nicht. Genervt rieb ich mir die Schläfen. „Ich bin nicht wie sie!“, schnauzte ich und er zuckte zusammen. „Ich bin nicht wie diese Bestien, die du gesehen hast!“ Aufgebracht stampfte ich in die Küche, holte die Plastiktüte mit dem Essen und angelte die Colaflasche von der Anrichte. Mit meinen Habseligkeiten beladen, ging ich zurück ins Wohnzimmer, richtete die Pappbox vom Chinesen mit den dazugehörigen Holzstäbchen auf dem Tisch an, stellte das Getränk daneben und musterte das Ganze argwöhnisch.
„Du isst verderbliche Nahrung?“, hörte ich Toma verblüfft ausrufen.
„Red´ keinen Blödsinn! Das ist für dich, also setz dich und iss!“, befahl ich in schroffem Tonfall.
„Für m… mich?“, stammelte er begriffsstutzig und zog fragend die Augenbrauen hoch.
„Soll ich dir das schriftlich geben?“
Unsicher sah er mich an, dann straffte er die mageren Schultern und drückte die Brust raus. „Ich kann mir mein Essen selber besorgen!“
„Ja, natürlich“, schnaubte ich und grinste breit. Mit zur Seite gelegtem Kopf starrte ich ihn an. Er zögerte immer noch, erkannte aber an meinem wippendem Fuß, dass ich ungeduldig wurde. Seufzend marschierte er zum Tisch und setzte sich äußerst widerwillig auf die Couch. Seine Hände zitterten heftig, als er die Essstäbchen der Länge nach entzweibrach und begann in der Packung herumzustochern.
„Du bist krank …“
Er stöhnte genervt und legte die Stäbchen zur Seite. „Was willst du von mir? Wieso bin ich hier? Wieso …“ Er zupfte am gestärkten Kragen des Hemdes und verzog das Gesicht. „Wieso trage ich diesen Fummel?“
„Willst du nackt auf die Straße?“
„Du lässt mich gehen?“
„Ich habe nichts für Haustiere übrig.“
Toma schob die Packung vom Chinesen von sich, erhob sich langsam und verzog misstrauisch das Gesicht. „Wenn ich jetzt gehe … durch diese Tür da“, er deutete auf mein Arbeitszimmer, das im Moment nur als begehbarer Kleiderschrank herhielt, „dann wirst du mir nicht nachkommen, um mir doch noch die Kehle aufzureißen und mich zu töten?“
Ich schenkte dem blonden Mann einen vernichtenden Blick und trat zur Seite. „Weißt du was? Am besten du verpisst dich sofort!“ Wütend stopfte ich die Colaflasche und das kaum angerührte Essen zurück in die Plastiktüte und warf sie anschließend geräuschvoll in den Mülleimer in der Küche. Als ich zurückkam, schloss er gerade die Tür, auf die er gedeutet hatte. Er sah nicht besonders glücklich aus, als er feststellen musste, dass es sich dabei nicht um den erhofften Ausgang handelte.
„Hier ist ein zwanziger für den Bus, oder für ein Bier, oder was auch immer.“
Ich schubste ihn vor mir her durch den kleinen Flur neben der Küche, öffnete die Haustür und verfrachtete ihn mit einem Tritt nach draußen. „Am besten du vergisst, dass wir uns je über den Weg gelaufen sind und gehst zurück zu Papi.“
„Ich brauche meinen Vater nicht!“, grummelte er. „Deine scheiß Kohle brauche ich auch nicht!“ Er warf mir den Geldschein vor die Füße.
„Natürlich nicht, Toma! Du brauchst niemanden. Wir sehen uns dann in zwei Wochen, wenn sie deine Leiche auf der Straße einsammeln, weil du verhungert bist oder dein
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