Unsterbliche Versuchung 2
angesehen zu werden.
„Was ist?“, wollte ich wissen.
„Du hast mir gefehlt“, flüsterte sie. Plötzlich stand sie hinter mir, schlang ihre langen Arme um meine Taille und schmiegte sich an meinen Rücken. „Warum hast du mich nie angerufen?“
Ihr Atem strich unangenehm kühl über meine Haut. Ich versteifte mich und legte eine Hand in den Nacken. „Du weißt wieso.“
„Ich dachte uns verbindet etwas.“ Für einen Vampir klang sie erstaunlich emotional. „Hast du vergessen, wie wir uns kennengelernt haben? Was ich dir zu verdanken habe?“
„Du hast mir nichts zu verdanken“, brummte ich und löste mich aus ihrer Umarmung. Langsam drehte ich mich zu ihr und registrierte einen sehnsüchtigen Ausdruck in ihren Augen. Jules streckte die Hand aus, so als wolle sie mir über die Wange streicheln, hielt dann jedoch inne.
„Ich verdanke dir mein Leben, Yen. Und ich … weißt du … manchmal wünschte ich, ich wäre geworden wie du, so menschlich.“ Sie seufzte und trat auf mich zu. Als ich zurück wich, verzog sie gekränkt das Gesicht. „Ich weiß, dass du uns hasst. Irgendwie kann ich es nachempfinden.“
„Lass uns einfach das Zeug ins Haus bringen“, lenkte ich ab. Ich war nicht daran interessiert mir anhören zu müssen wie falsch meine Einstellung zu den Vampiren war und dass sie sich eigentlich kaum von den Menschen unterschieden, davon abgesehen, dass sie sie dann und wann versehentlich auslutschten. Wir würden nur wieder streiten, so endete es immer.
„Ich glaube ich verstehe allmählich, wie du tickst.“
„Das bezweifle ich“, murmelte ich, öffnete selber die Türen zum Laderaum, weil sie sich noch immer nicht rührte. Eisige Kälte strömte mir entgegen und ich fröstelte leicht. Nebel kroch über die Ladefläche und quoll auf die Straße.
„Yen“, versuchte Jules es erneut, aber ich kletterte schon in den Innenraum, schnappte mir zwei große Tabletts mit schön zurecht gemachten Käsehäppchen, Lachsröllchen, Schinkenröschen und so weiter. Alles war hübsch, aber unnötig dekoriert, und es war wahnsinnig viel für zwei Sterbliche.
„YEN!“, schnaufte Jules. Eine schwere, eisige Hand landete auf meiner Schulter. Ich hasste es wie die Pest, wenn sie ihre unsterblichen Kräfte raushängen ließ. Glücklicherweise war ich älter und konnte gerade genug Kraft auftreiben, um nicht in die Knie zu gehen. „Hör mir doch bitte zu!“
„Ich will es nicht hören! Jedes Mal derselbe Scheiß. Jedes Mal versuchst du wieder, mich auf deinen Weg zu bringen und endlich einzusehen, wie geil es ist, an den Hälsen willenloser Menschen zu hängen und sie auszusaugen, während du sie vögelst.“
Der Arm verschwand von meiner Schulter. Sie sah ehrlich verletzt aus. „Ich wünschte du würdest mehr in mir sehen als einen blutgeilen Unsterblichen.“
„Das habe ich versucht, Jules, wirklich.“
„Du hast mir nie eine Chance gegeben, dir zu beweisen, dass ich nicht so krank bin, wie die anderen.“
„Natürlich habe ich dir eine Chance gegeben.“
Jules lachte trocken. „Gott, Yen, damals war ich eine Neugeborene, die ein Schiff voller Menschen ausgerottet hatte. Kein gutmütiger Vampir hätte mich von diesem Trip runter und zur Vernunft bringen können.“
„Ich weiß was du warst. Ich habe dich gesehen“, gab ich ihr müde zu verstehen.
„Du bist so nachtragend“, warf sie mir vor. Und wenn schon? Sie hielt sich sterbliche SKLAVEN! Sollte ich vielleicht so tun, als wäre es mir egal?
Ich balancierte die Tablettes auf der Handfläche und ging um die junge Frau herum. „Ich habe versucht dir meinen Weg näher zu bringen. Du hast mich ausgelacht, Jules! Du hast dich über mich lustig gemacht … so wie alle anderen.“
„Mittlerweile begreife ich dich aber.“
„Da kommst du leider zweihundertfünfzig Jahre zu spät.“
Wieder fasste sie nach meiner Schulter, sanft diesmal, nicht fordernd. „Du warst immer meine beste Freundin, Yen.“
„Nur weil du dachtest, du bist mir etwas schuldig. Uns verbindet nichts, Jules. So leid es mir tut. Ich hätte eine Freundin gebrauchen können.“
„Lass mich deine Freundin sein! Nur heute! Lass mich versuchen dir zu zeigen, dass du mir nicht egal bist!“
„Ich danke dir dafür, dass du so schnell gehandelt hast, Jules“, nickend deutete ich auf die Speisen. „Aber ich glaube nicht, dass das irgendetwas zwischen uns ändert. Du bist … wie sie alle.“
„Gib mir eine verdammte Chance, Yen“, presste Jules hervor. Tränen glitzerten in ihren
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