Unsterblichen 02 -Unsterblich wie ein Kuss-neu-ok-27.01.12
mit einem unlesbaren Ausdruck
in seine Richtung. Was wohl in ihr vorging?
»Ich
muss jetzt gehen. Darf ich Sie nach Hause bringen, Lady Violine?«, sagte er.
»Das
wäre sehr freundlich«, nickte Violet und schenkte ihm ein nicht sehr
überzeugendes Lächeln. »Ich hole nur rasch meinen Mantel.«
Erst
eine Viertelstunde später gelang es Patrick, sie von den Gästen loszueisen. Der
Herzog von Neville war besonders hartnäckig gewesen, er hatte Violet unbedingt
selbst zum Zirkus zurückbringen wollen. Patrick war versucht gewesen, seinem
Freund zu verraten, dass Violet nicht zum Zirkus zurückkehren würde, sondern zu
ihm nach Hause, aber er hatte der Versuchung gerade noch widerstanden.
Die
folgende Kutschfahrt war kurz und unbehaglich. Weder Violet noch Patrick
sprachen ein Wort.
Was
gab es auch zu sagen?
Violet
folgte Patrick seufzend zu seinem Arbeitszimmer. Die stumme Kutschfahrt hatte
sie aus der Fassung gebracht, und nun hatte er ihr auch noch befohlen, in sein
Arbeitszimmer zu kommen.
Er
war sachlich, nüchtern. Keine Spur von dem gütigen, zärtlichen Mann, den sie
lieben gelernt hatte.
Patrick
schloss die Tür und bedeutete ihr, sich zu setzen. Sie ging automatisch zu dem
Sessel am Fenster, den sie als ihren zu betrachten begonnen hatte. Nervös
nestelte sie an ihrem Kleid.
»Es
gibt einiges, das du wissen solltest«, begann er, nachdem er sich, wie sie
merkte, an seinen Schreibtisch gesetzt hatte. »Aber zuerst musst du mir sagen,
was du alles über uns weißt.«
Mit
›uns‹ meinte er die Bluttrinker. Oder Vampire, korrigierte sie sich. Angelica
hatte ihr heute früh beim Frühstück ein wenig über Vampire und über die
Auserwählten erzählt und über sich und Alexander. Die Prinzessin und ihr Bruder
hatten ihr außerdem versichert, dass sie verstehen konnten, was sie getan
hatte, und sie noch immer gern hatten.
Sie
hatten sogar versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie nicht für ihre Tat
verantwortlich sei, aber Violet war da anderer Ansicht, obwohl sie sich
natürlich bei den Geschwistern für ihre Loyalität und Zuneigung bedankt hatte.
»Ich
weiß nicht viel über deine Leute«, gestand Violet. »Und das, was ich weiß, habe
ich von der Seherin und von Angelica erfahren.«
»Diese
Seherin ist eine Zigeunerin, ja? Eine Hellsichtige?«, erkundigte sich Patrick.
Violet
wusste nicht, was er mit ›hellsichtig‹ meinte, vermutete aber, dass es eine
Bezeichnung für die besonderen Talente der Seherin war. »Ja, die Seherin ist
eine Zigeunerin. Sie war wie eine Mutter für mich. Und sie wusste Dinge. Ich
habe nie gefragt, woher. Sie hat mich gefunden, sie hat gewusst, wie sie mir
helfen muss, und eines Tages hat sie gesagt, dass ich die Zigeuner verlassen
und mit dem Zirkus Weiterreisen soll. Er würde
mich zu Ismail fuhren, hat sie gesagt. Also bin ich gegangen und
hierhergekommen.«
»Ich
verstehe«, sagte Patrick. Violet wartete darauf, dass er weitersprach. Schaute
er sie an? Hasste er sie immer noch so sehr?
»Du
weißt bereits, dass wir Tierblut trinken und dass wir Gedanken lesen können«,
sagte er nach einigem Schweigen. Violet folgte dem Klang seiner Stimme. Er war
aufgestanden und durchquerte nun das Arbeitszimmer. »Wir sind stärker und
schneller als Menschen, und wir leben mehrere hundert Jahre länger.« Es roch
auf einmal nach Blut, und Violet hörte, wie er eine Flüssigkeit in ein Glas
goss. Mehrere hundert Jahre länger, dachte
sie schaudernd. Ihr wurde klar, wie wenig sie über diese Spezies wusste.
»Und
wie alt bist du?«, fragte sie schüchtern.
»Fast
sechshundert Jahre alt.«
Sechshundert Jahre. Wie viel hatte er in dieser Zeit von der Welt
gesehen? Wie viele Frauen geliebt?
»Ich
verstehe«, sagte sie leise.
Er
ging zu seinem Schreibtisch zurück, und der Blutgeruch wurde stärker.
Seltsamerweise störte er sie nicht.
»Du
beneidest uns vielleicht um unser langes Leben, aber glaub mir, es ist eher ein
Fluch als ein Segen. Die meisten meiner Leute leiden unter einer Krankheit, die
wir Schwermut nennen. Den Verlust der Leidenschaft. Wie die Menschen suchen wir
uns etwas, das uns beschäftigt, das in unserem Leben einen zentralen Platz
einnimmt - Politik, Kunst, Malerei oder Gärtnerei, was auch immer. Aber früher
oder später wird uns alles schal, und wir verlieren die Freude daran. Nur jene
mit der stärksten Psyche erreichen ihr fünfhundertstes Lebensjahr. Und das ist
der Grund für unser zweites großes Problem.«
Violet
versuchte sich vorzustellen,
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