Unter allen Beeten ist Ruh
Abgeschiedenheit und unbedingter Konzentration noch größer geworden. Sie genoss es, in der grünen Ruhe des Labyrinths unsichtbar zu sein. Pippa sah durch ihre Texte, brachte erste Korrekturen an und schaffte es tatsächlich, sich von den Tagesereignissen abzulenken.
»Guten Tag, auf ein Wort!«, rief Lutz Erdmann über den Zaun, nachdem er sich unauffällig nach möglichen Ohrenzeugen umgesehen, aber keine entdeckt hatte.
Er verließ gerade nach einem wenig spektakulären Schäferstündchen Angelikas Haus, da er vom Küchenfenster aus die Marthalers in ihrem Garten entdeckt hatte. Die vertrocknete Lehrerin schnippelte an ihren Rosen herum, und ihr Weichei von Ehemann lag in einem Liegestuhl unter einem Apfelbaum und trank sich durch seine tägliche Ginration.
»Diese Gelegenheit will und kann ich auf keinen Fall ungenutzt verstreichen lassen, Liebste«, hatte er zu Angelika gesagt, erleichtert, sich endlich von ihr befreien zu können. »Das bin ich dir und unserem großen Ziel schuldig. »
Die Marthalers kamen an den Zaun; Ida mit ihrem typisch strengen Lehrerinnenblick und Heinz gerade noch im Besitz seiner geistigen Kräfte.
»Ich möchte mich gern noch einmal über Ihre Parzelle unterhalten«, sagte Lutz.
Ida Marthaler verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn finster an.
»Ich wüsste nicht, was wir noch zu bereden hätten, Herr Erdmann. Ich dachte, ich hätte meinen Standpunkt deutlich gemacht.«
Heinz Marthaler grinste debil und nuschelte: »Nun sei doch nicht so unhöflich, Schatz. Hören wir uns doch mal an, was Lutz zu sagen hat.«
Erdmann frohlockte innerlich. Die Marthalers waren offensichtlich immer noch zerstritten, was den Verkauf ihrer Parzelle betraf – perfekt!
»Was soll da schon Neues kommen?«, fauchte Ida erbost. »Wir wissen doch genau, was Erdmann will. Unsere Parzelle. Und die wollen wir nicht verkaufen. Ende des Gesprächs.«
Sie drehte sich um und wollte die beiden Männer am Zaun stehen lassen, aber Lutz’ nächste Bemerkung hielt sie auf.
»Frau Marthaler, Frau Marthaler«, Erdmann schüttelte in gespieltem Amüsement den Kopf, »ich bin gelinde gesagt erstaunt über Sie. Ich finde, wir sollten uns gegenseitig helfen, statt uns zu bekriegen. Wir könnten eine für beide Seiten höchst ersprießliche Vereinbarung schließen: Sie verkaufen mir Ihre Parzelle«, Erdmann machte eine kunstvolle Pause, »und dafür behalte ich meine Informationen über Sie für mich.«
Wenige Meter entfernt in ihrem Versteck ließ Pippa entsetzt den Rotstift fallen, mit dem sie Stellen markiert hatte, die sie korrigieren wollte.
Sie sah sich bestürzt um.
Wohin konnte sie gehen, ohne gehört zu werden und ohne die anderen weiter unfreiwillig zu belauschen? Sie hielt den Atem an und legte ihr Manuskript leise beiseite. An Weggehen war nicht zu denken, denn dann würde Ida wissen, dass jemand Fremdes Ohrenzeuge dieses Erpressungsversuches geworden war, und diese Peinlichkeit wollte sie ihr ersparen.
»Informationen über mich?«, schnappte Ida Marthaler. »Welche sollten das wohl sein?«
Erdmann lachte süffisant. »Muss ich wirklich deutlicher werden, Frau Marthaler? Versuche mit Drogen, die Sie als angebliches Medikament an Frau von Schlittwitz weitergegeben haben, die dann dummerweise unter deren Einfluss stirbt? Läutet es bei Ihnen? Oder möchten Sie einige Fotos sehen, die Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen werden?«
Stille. Beide Marthalers schwiegen verblüfft, und Lutz ergötzte sich an Idas Fassungslosigkeit. Das ist ja besser als Sex, dachte er vergnügt, zumindest besser als der Sex mit Angelika.
»Das wagen Sie nicht«, sagte Ida, »so ein Widerling sind nicht einmal Sie.«
Wieder lachte Lutz. »Probieren Sie es aus, liebe Frau Marthaler, probieren Sie es aus. Ich bin sicher, Ihr Arbeitgeber ist an meinem Recherchematerial brennend interessiert. Immerhin haben Sie es mit minderjährigen Schutzbefohlenen zu tun, Frau Schuldirektorin. Das ist der Stoff, aus dem Suspendierungen sind.«
Er machte eine Kunstpause.
»Sie werden sich sicher gern an Ihre aktive Zeit erinnern, wenn Sie demnächst von Arbeitslosengeld leben und bei sämtlichen Schulen Deutschlands auf der schwarzen Liste stehen«, fuhr er fort.
Lutz Erdmann machte wieder eine Pause, in der er angelegentlich einige Rosen betrachtete, die von Marthalers bis zu Angelika hinüber wuchsen.
»Mein Angebot für Ihre Parzelle hat sich zwar um fünftausend Euro verringert, aber Zwanzigtausend sind doch immer
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