Unter allen Beeten ist Ruh
von uns gegangenen Halbbruders, meines letzten Verwandten, gedenken.«
»Beim nächsten Mal setze ich Geld auf meine Vorhersagen«, knurrte Stephan Kästner wütend.
Erdmann ignorierte Kästner, ohne mit der Wimper zu zucken, und fuhr fort:« Die Polizei hat mir soeben mitgeteilt, dass sie sich relativ sicher ist, dass Felix Maier mein Halbbruder war. Ich habe einer DNA -Analyse natürlich sofort zugestimmt. Man hilft der Polizei, wo man kann. Gerade in einem Fall wie diesem.«
Er rang bühnenreif die Hände und schniefte.
»O Gott, wenn ich doch nur geahnt hätte, dass er mein Bruder ist! Was hätten wir gemeinsam erreichen können! Könnte ich doch das Rad der Zeit zurückdrehen!«
Das Rad der Zeit nicht, dachte Pippa, aber meinen Magen hast du geschafft. Selten hatte sie derartige Bigotterie auf zwei Beinen gesehen.
Die Insulaner, mit Mienen zwischen Abscheu und Fassungslosigkeit, wechselten beredte Blicke, aber niemand sprach.
»Mir wird übel. Ich brauche dringend Medizin, mit mindestens vierzig Prozent«, sagte Pippa und ging Richtung Haus.
Nach drei Schritten hörte sie ihren Namen und blieb stehen.
Sie drehte sich langsam zu Lutz Erdmann um, der sie pomadig anlächelte und wiederholte: »Frau Bolle, so bleiben Sie doch bitte.« Sein falsches Lächeln wurde noch breiter. »Sie sind der eigentliche Grund meines Hierseins.«
Pippa erstarrte zur Salzsäule.
Das konnte nichts Gutes bedeuten, auf keinen Fall. Sie sah Erdmann mit hochgezogenen Brauen an. Angelikas Augen funkelten triumphierend.
»Frau Bolle, das fällt mir jetzt nicht leicht, das müssen Sie mir glauben, aber ich muss Sie bitten, den Grund und Boden und vor allen Dingen das Haus meines Bruders zu verlassen.«
Er setzte einen treuherzigen Blick auf und legte die Hand auf sein Herz.
»Bei meiner Ehre, Frau Bolle«, beteuerte er, »wenn es nach mir ginge … aber die Polizei muss natürlich Felix’ Haus auf Spuren hin untersuchen, das verstehen Sie doch? Schließlich geht es hier um nicht ganz unerhebliche Anschuldigungen – ich will nicht von Mord sprechen, bis die rechtsmedizinischen Gutachten vorliegen. Aber dennoch: Ich halte es für richtig, wenn Sie ausziehen und alles in seinem derzeitigen Zustand belassen. Ich habe dem Herrn Kommissar deshalb zugestimmt …«, ein hämisches Grinsen umspielte zehntelsekundenlang seine Mundwinkel, »… dass er das Haus versiegeln lässt. Schließlich geht es hier um …«, seine Stimme versagte dramatisch, und er wischte sich über die Augen, »… es geht immerhin um den Tod meines einzigen Bruders.«
Er verstummte und schluckte schwer. Angelika tätschelte aufmunternd seinen Arm.
»Wat iss’n dit für’n Quatsch?«, pöbelte Luis los, ehe Pippa reagieren konnte. »Der Junge hat doch keene Sekunde in det Haus jewohnt!«
»Mein lieber Herr Krawuttke …«
Lutz Erdmann ließ sich nicht aus der Reserve locken.
»Das war doch nicht meine Entscheidung, das haben Sie missverstanden. Ich gebe doch nur weiter, was der Herr Kommissar verfügt hat. Offenbar war mein Bruder häufig bei Frau von Schlittwitz zu Besuch, und die Polizei erhofft sich Erkenntnisse, die vielleicht zur Aufklärung seines Todes führen werden.«
»Dat sollten die maa lieba in deine Protzhütte machen!«, schrie Luis erbost.
»Das werden sie auch.«
Alle fuhren herum, als Viktors Stimme erklang.
Lutz’ Schmierenkomödie hatte die Insulaner derart gefesselt, dass niemand Viktors Ankunft bemerkt hatte.
»Und nicht nur sein Haus«, fügte Viktor hinzu, »sie werden jedes Haus auf der Insel auseinandernehmen.«
Kapitel 20
I st das immer noch der Pfingstmontag, der heute Morgen mit einem friedlichen Bad in der Havel begann?, dachte Pippa.
Sie sah auf ihre Uhr.
Seit ihrem erfrischenden Sprung in die Fluten waren keine vier Stunden vergangen, und die Lawine aus schockierenden Enthüllungen, platzenden Bomben und unerwarteten Entwicklungen war noch immer nicht zum Stillstand gekommen. Jetzt sollten auch noch sämtliche Häuser durchsucht werden.
Hielt Schmidt etwa alle Insulaner für verdächtig?
Zugegeben, wenn Lutz ins Gras gebissen hätte, dann wäre Schmidt von potentiellen Mördern geradezu umringt gewesen – aber im Falle Felix Maier? In den Gesichtern ihrer Nachbarn – Exnachbarn, korrigierte sie sich enttäuscht – sah sie ähnliche Ungläubigkeit.
»Was denn noch alles?«, murmelte Karin neben ihr und sprach aus, was alle dachten.
»Von mir aus können sie alles durchsuchen«, sagte Herr X und verschränkte
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