Unter aller Sau
Autos auf den Hof. Vier von ihnen schoben sich schützend zwischen die Bloody Devils und die fünf vom Tode Bedrohten. Erwin sprang aus dem Mannschaftsbus, bevor der richtig halten konnte.
»Ihr seid alle verhaftet. In zehn Minuten sind hier überall Hubschrauber und SEKs, da könnt ihr einpacken.« Wie ein Derwisch fegte er im Kreis herum. »Wenn auch nur einer zu seiner Waffe greift, ist er dran.« Er deutete auf die Autos. »Ihr werdet gerade alle gefilmt, und das wird live auf Facebook übertragen.«
Hinter den Scheiben sah man zahlreiche nach draußen gerichtete Handys.
»Wenn ihr uns alle umbringt, die Welt schaut zu.«
Mit blutunterlaufenen Augen suchte Erwin die Reihe der Motorradfahrer ab. Aber keiner rührte einen Finger. Der Anführer legte den Kopf schief und lächelte.
Er und Gisela schauten sich einen Moment lang an. Fast schien es ihr, als würde er sie mit seinem Blick bitten, sich gut um ihren alten Vater zu kümmern. Schließlich stieg er auf seine Harley, ließ sie an und rollte vom Hof. Seine Teufel folgten ihm. Es dauerte keine Minute, und das Donnern ihrer Motoren war nicht mehr zu hören.
Die Niedernussdorfer Bürgerwehr kletterte ins Freie. Sie beglückwünschten Erwin, freuten sich, dass Gisela, Ludwig, Jakob und Richie unverletzt waren. Lederer verfolgte den Jubel und Trubel mit einem leisen Lächeln. Er begegnete Giselas Blick, in dem Dankbarkeit lag. Im gleichen Augenblick erhielt er einen festen Schlag auf die Schulter. Richie stand neben ihm.
»Sauber gemacht.« Anerkennend nickte er und übergab Lederer die Uzi, dann schloss er überglücklich Erwin in seine Arme.
Gisela schaute Ludwig tief in die Augen.
»Danke.«
»Passt schon.« Er küsste sie. »Und? Machen wir’s jetzt offiziell? Jetzt, wo ich dir das Leben gerettet hab?«
Er grinste unverschämt. Gisela seufzte.
»Bleibt mir ja nix anders übrig, oder?«
Ludwig drückte ihr gleich noch mal einen dicken Kuss auf die Lippen.
Der Bericht, den Gisela zu schreiben hatte, bereitete ihr einige Kopfschmerzen. Auf der einen Seite wollte sie den Ablauf so darstellen, wie er stattgefunden hatte, auf der anderen Seite gab es einige Vorfälle, die unangenehme Konsequenzen für die Niedernussdorfer haben könnten.
Da war die Entführung der beiden Rumänen, die inzwischen zu Protokoll gegeben hatten, dass Vlad Tomanovici sie engagiert hatte, um Häuser in Niedernussdorf in Brand zu stecken. Beide waren in Rumänien polizeilich bekannt. Trotzdem war eine Entführung eine Straftat, und die Männer der Bürgerwehr würden sich vor Gericht dafür verantworten müssen. Selbst wenn alle mit einer Bewährungsstrafe davonkämen, der Makel einer Verurteilung würde bleiben. Möglicherweise würden die Bauarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren.
Dann war da Jakobs Angriff mit der Axt auf Vlad Tomanovici. Streng betrachtet handelte es sich dabei um Körperverletzung, die zumindest mit einer Geldbuße geahndet werden konnte.
Richies beabsichtigte Selbstjustiz aber stellte alle anderen Missetaten in den Schatten, denn jeder Richter würde die Aktion des Polizeiobermeisters als kaltblütige und heimtückische Mordabsicht werten. In seinem Fall hatte Gisela immerhin die Hoffnung, dass ein psychiatrisches Gutachten eine starke Traumatisierung aufgrund von Ionelas Tod feststellen und ihm damit Unzurechnungsfähigkeit attestieren würde. Richie könnte um einen Gefängnisaufenthalt rumkommen und in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik landen. Spätestens nach fünf Jahren würde er auf Resozialisierung getestet, und falls er bestand, wäre er wieder in Freiheit. Ein überschaubarer Zeitraum für einen Phlegmatiker wie Richie.
Am Schluss der Liste stand ihr eigener Name. Sich selbst die ganzen Verstöße zuzuschreiben war ihr ein Leichtes. Sie stand zu ihren Entscheidungen: die Gefährdung einer wichtigen Zeugin, die rechtsstaatlich fragwürdige Befragung der beiden Rumänen, das Überlassen der Dienstwaffe an einen Zivilisten, die Anordnung, auf Vlad Tomanovici zu schießen, und damit eine tödliche Verletzung in Kauf zu nehmen. Gisela wusste genau, dass ihre Karriere bei der Polizei mit diesem Bericht beendet sein würde. Dafür würde Lederer bestimmt sorgen. Aber sie war bereit, die Konsequenzen zu tragen. Sie hatte sich noch nie vor der Verantwortung gedrückt. Im Gegensatz zu manchem Niedernussdorfer Mann, der seiner Ehefrau immer noch nicht gebeichtet hatte, was er in der einen oder anderen Nacht getrieben
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