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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
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Sorte. Gisela wunderte sich darüber, dass er jeglichen Augenkontakt vermied. Als hätte er etwas zu verbergen.
    »Ich hab vorhin gesehen, wie Sie die Arbeiten korrigiert haben.« Gisela ließ Werner Siebert nicht aus den Augen, lauerte auf eine Reaktion, die ihr mehr sagte als jedes Wort. »Sie haben eine erstaunlich feine Schrift.« Der Wasserkocher sprudelte kurz, schaltete sich dann automatisch ab. Der Riese fand den richtigen Teebeutel. »Die Kalligraphie ist ein Hobby von mir, da bleibt es nicht aus, dass man etwas davon auch in den Beruf einbringt.« Teebeutel in die Tasse, Wasser drüber. Immer noch kein Augenkontakt. Gisela und Lederer wechselten einen kurzen Blick. Auch dem Hauptkommissar stieß das merkwürdige Verhalten des Lehrers auf.
    »Sie haben nicht zufällig diese Worte geschrieben?«, hakte er nach. Werner Siebert stellte den Wasserkocher zurück. Er stützte sich auf der Arbeitsplatte ab, atmete tief durch, drehte sich um. In seine Gesichtsfarbe hatte sich etwas Grau gemischt, als hätte er den ganzen Tag Zementsäcke geschleppt.
    »Ich … ich hab es vor kurzem erst gehört, deswegen war ich so überrascht, dass Sie …«, er deutete fahrig auf den Beutel in Lederers Hand, »dass es mir schon wieder begegnet.«
    »Wo haben Sie es gehört?«, fragte Gisela.
    »Von meiner Tochter.«
    Lederer zückte das Foto des toten Schneewittchens. Gisela fragte sich, was er noch in seinen Manteltaschen herumschleppte.
    »Ist das Ihre Tochter?«
    Ein kurzer Blick, der Schock über das Abbild des Todes, ein Kopfschütteln. »Nein.«
    »Und Sie kennen diese Frau auch nicht?«, bohrte Lederer weiter.
    Wieder ein Kopfschütteln. Lederer steckte das Foto weg.
    »In welchem Zusammenhang hat Ihre Tochter dieses Zitat denn gebraucht?« Gisela hatte Werner Siebert die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Seiner Reaktion nach zu schließen kannte er Schneewittchen tatsächlich nicht.
    »Sie ist Montag letzter Woche dreißig geworden, und ich war eingeladen, sie wohnt in Frankfurt mit ihrem Freund. Sie hat ihn Silvester kennengelernt, die beiden sind Seelenverwandte, das merkt man sofort.« Ein Lächeln bei der Erinnerung. »Irgendwann, sie war schon etwas beschwipst, hat sie mich umarmt und mir dieses Zitat ins Ohr geflüstert und wie glücklich sie sei. Sie hatte schon nicht mehr geglaubt, dass es so jemanden wie ihn gebe.«
    Die Wärme in seinen Worten bei dem Gedanken an seine Tochter berührte Gisela, während Lederer enttäuscht war, dass sich das Gespräch ermittlungstechnisch als Sackgasse erwies.
    »Die Liebe ist ein seltsames Spiel«, schloss der Riese ab.
    »Connie Francis«, kam Lederer Gisela zuvor. Er nickte dem Riesen zu. »Danke für Ihre Zeit.« Lederer verließ die Küche. Gisela schüttelte Werner Siebert die Hand. »Wiederschaun.«
    »Wiederschaun.«
    Gisela war schon in der Tür, drehte sich noch einmal um. »Diese Handschrift, kam Ihnen die bekannt vor?«
    Werner Siebert runzelte fragend die Stirn.
    »Ich meine, vielleicht ein Kollege?«
    »Nein. Auf mich wirkte die Schrift sehr weiblich.«
     
    Lederer hatte in sein Navi die Adresse von Hans Köhler eingegeben, die weibliche Samtstimme lotste ihn zielsicher ins Zentrum von Niedernussdorf.
    »Das war sehr unsensibel«, rotzte Gisela heraus. Lederer sah sie erstaunt an. »Ihm einfach das Bild unter die Nase zu halten. Das ist ja schon für Leute wie uns ein Schock.«
    »Für mich nicht.«
    »Jaja, hab ich vergessen, Sie sind ein ganz harter Hund, haben im Leben schon alles gesehen. Aber der Typ ist Lehrer, der lebt in einer anderen Welt.«
    »Tut mir leid, aber jetzt lebt der in derselben Welt wie ich. Es geht nicht, dass man jeden betüddelt und verschont. Die Realität ist nun mal grausam.«
    »Man muss es ja nicht schlimmer machen, als es schon ist«, brummte sie.
    Lederer seufzte. »Würde es Sie glücklich machen, wenn ich bei der nächsten Befragung etwas sensibler wäre?«
    »Glücklich nicht, aber ich wär angenehm überrascht.«
    Ein kleiner Brunnen markierte den winzigen Marktplatz in dem Dreitausendseelendorf, wo sich die Leute begegneten, wenn sie einkauften oder von der Kirche kamen. Jeden Samstag war hier Bauernmarkt. Für die spärliche Jugend war es Versammlungsort, um in Cliquenstärke in die größeren Städte wie Passau, Straubing oder Landshut aufzubrechen, dorthin, wo das Leben tobte. In Niedernussdorf wurden um zwanzig Uhr, pünktlich zu Beginn der Tagesschau, die Bürgersteige hochgeklappt. Daran hatte sich seit Erfindung

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