Unter aller Sau
forderte Gisela die Männer auf. Die Chefin hatte ihren strengen Blick aufgesetzt, der keinen Widerspruch duldete.
»Bitte.« Ihr Lächeln entschärfte diesen Blick keineswegs, es machte ihn nur noch gefährlicher.
Erwin schenkte Schorsch ein letztes abfälliges Grinsen, dann setzte er seine Mütze auf und stapfte aus der Dienststelle.
»Wo soll ich noch mal hin?«, fragte Richie Gisela.
»Du fährst zum Sozialamt nach Straubing und lässt dir einen Ausdruck aller Rumänen geben, die dort gemeldet sind.«
»Rumäninnen, meinst, oder?«
»Nein, auch die Männer. Ich will wissen, ob ein Ionel darunter ist.«
Richie öffnete den Mund, um nachzufragen, wer denn dieser Ionel sei, aber Gisela kam ihm zuvor.
»Tust mir den Gefallen?« Giselas Stimme war butterweich und ein sicheres Zeichen, dass man die Füße in die Hand nehmen und so schnell wie möglich das Weite suchen sollte. Auf der Flucht nach draußen rannte er beinahe Lederer über den Haufen. Keine Zeit für eine Entschuldigung, nur weg.
Lederer trat an den Tresen, der den Hauptraum teilte und an dem Schorsch immer noch mit dem Hörer in der Hand stand.
»… am liebsten möcht man gar nicht mehr rausgehen, mit dem ganzen Mord- und Totschlag, aber es lässt sich halt nicht vermeiden, ich schau aber schon, dass ich abends nicht mehr rausmuss …«
»Jaja, das versteh ich, es … würden Sie mir jetzt bitte Ihren Namen und Ihre Adresse geben«, zwängte sich Schorsch dazwischen. »Ich hab ja nicht ewig Zeit, wir ermitteln schließlich in einem Mordfall.« Sein entschlossener Blick Richtung Lederer sollte dem knallharte Polizeiarbeit vermitteln, aber der Straubinger Kriminalhauptkommissar zeigte sich unbeeindruckt. Er schaute fragend zu Gisela.
»Darf ich?«
Gisela stand auf. »Selbstverständlich.« Sie rückte den Besucherstuhl zurecht, der so gut wie neu war.
Lederer schob sich an Schorsch vorbei in Giselas Büro. Er schloss die Tür, um Schorschs Neugier auszusperren. Gisela nahm das mit Verwunderung zur Kenntnis. Lederer zog einen transparenten Beutel der Spurensicherung aus seiner Manteltasche, hielt ihn in die Höhe. In der Tüte war ein einzelner Geldschein, ein Fünfziger.
»Diese Banknote ist eine erste Spur im Mordfall AK Strich L fünfhunderteinundzwanzig.«
Gisela beugte sich vor, um den Fünfziger näher zu betrachten. Ein Geldschein wie jeder andere. Lederers kleiner Finger schnellte vor wie ein Schnappmesser, er fuhr damit eine schräge Linie von einer Ecke des Fünfzigers zur Längsseite nach. »Sehen Sie? Hier!«
Gisela kniff die Augen zusammen, ihre Nase klebte fast an der Tüte. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich.«
Lederer seufzte, zog Gisela mit sich zu dem kleinen dreckigen Fenster, durch das spärlich die Morgensonne fiel. Er kippte den Geldschein in die Horizontale, das Licht machte einen Knick im Papier sichtbar. Gisela erkannte jetzt noch weitere Knicke, die den Fünfziger wie ein geheimnisvolles Muster überzogen.
»Das sind Falze.«
»Das sind was?«
»Falze. Der Plural von Falz. Ich habe vier Stunden fünfunddreißig Minuten gebraucht, um die richtige Reihenfolge nachzuvollziehen.«
Gisela glotzte Lederer verständnislos an. Der sonnte sich in seiner Überlegenheit. Ein Lächeln schob die Enden seines Schnauzbartes nach oben.
»Ein Herz, Frau Kollegin. Diese Banknote wurde zu einem Herz gefaltet.«
»Origami?«
Lederer nickte. »Genau.«
»Sie glauben, der Mörder ist ein Japaner?«
Lederer guckte Gisela verdutzt an. Dann schüttelte er heftig den Kopf. »Nein, ich will damit nur sagen, dass der Besitzer der Banknote jemand ist, der sich mit Origami gut auskennt.«
»Aha.« Von Begeisterung war bei Gisela nichts zu spüren. »Und was bringt uns das?«
»Das ist etwas sehr Spezifisches, und bei einem Mordfall sind es genau solche spezifischen Dinge, die einen ersten Hinweis auf den Täter geben.«
»Oder auf ein Kind«, ergänzte Gisela, »das seiner Mutter zum Muttertag eine Freude machen wollte und einen profanen Geldschein in ein Herz verwandelt hat.«
Ein überhebliches Grinsen stahl sich in Lederers Gesicht. Gisela hätte es am liebsten mit einer bissigen Bemerkung weggewischt, aber sie riss sich zusammen. Es ging hier um einen Mord und nicht um persönliche Befindlichkeiten.
Lederer wendete den Fünfziger, so dass die Rückseite zu sehen war. Am Rand stand ein Satz, in etwas altertümlicher Handschrift mit einem feinen schwarzen Stift geschrieben. Gisela gab sich alle Mühe, konnte
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