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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
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seinen Augen ließ Gisela erahnen, dass es ihm ebenfalls naheging.
    Werner Siebert saß im Lehrerzimmer am offenen Fenster, in die Aufsätze seiner Schüler und Schülerinnen aus der Klasse 5  a vertieft. Mit einem roten Kugelschreiber strich er Rechtschreibfehler an, unterkringelte schlechten Ausdruck und markierte grammatikalischen Unsinn. Hin und wieder huschte ein Lächeln über sein faltiges Gesicht, wenn er eine Textpassage las, die ihn positiv überraschte. Am Seitenrand notierte er dann
Toll
oder
Sehr gut.
Werner Siebert war seit knapp vierzig Jahren Hauptschullehrer, und in dieser Zeit hatte er so viel Durchschnittliches und Unterdurchschnittliches erlebt und gelesen, dass er sich über jeden guten Satz freute wie über eine Blume im Asphalt. Die Schönheit der Sprache zu erhalten und weiterzugeben war ihm von jeher höchstes Anliegen. Er machte gerade aus einem ß ein ss, als eine Frauenstimme neben ihm flüsterte.
    »Herr Siebert?«
    Werner Siebert schaute auf, blinzelte kurz ungehalten. Über die Ränder seiner Lesebrille hinweg sah er einen verwegen aussehenden Typen im Ledermantel und eine uniformierte Blondine vor sich stehen. »Ja?«
    Gisela kannte Werner Siebert nur flüchtig, man sah sich ab und zu auf der Straße oder bei verschiedenen Festivitäten, mehr nicht. Sie hatte nur Gutes über den Mann gehört, an dem alles zu groß und zu lang geraten schien. Der Kopf, die Hände, der Mund, alles wirkte überdimensioniert, und wie er so dasaß, auf dem Stuhl, der etwas zu klein war für seine Gestalt, sah er aus wie ein Riese. Ein Rübezahl, der nichts in diesem nüchternen Lehrerzimmer verloren hatte, sondern mit den wildwuchernden weißen Haaren als Eremit in den Wald gehörte. Zu diesem Bild passte sein abgetragener brauner Cordanzug, der wie aus Baumrinde gemacht schien.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, Gisela linste zu den anderen Lehrerinnen und Lehrern im Zimmer, die dem Vorgang nur wenig Beachtung schenkten, »aber könnten wir Sie unter vier Augen sprechen?«
    »Sechs«, war die Antwort. Auf Giselas verwunderten Blick hin schob Werner Siebert die Brille auf die Stirn, nickte zu Lederer. »Der junge Mann wird bei dem Gespräch sicher auch dabei sein, oder?«
    »Ja, natürlich. Das ist Kriminalhauptkommissar Lederer von der Mordkommission in Straubing.«
    Werner Sieberts Augenbrauen rutschten hoch. »Mordkommission? Und was wollen Sie da von meiner Wenigkeit?«
    Lederer beugte sich vor, seine Stimme kaum lauter als das leise Rauschen des Frühlingswindes. »Wir bräuchten eine Aussage von Ihnen.«
    Werner Siebert stemmte sich hoch. »Na, mein lieber Herr Gesangsverein, Mord, das sind ja schöne Aussichten«, dröhnte sein sonorer Bass durch den Raum. Alle Augen richteten sich auf ihn, was er natürlich beabsichtigt hatte. Ihm war eine Befragung durch die Polizei alles andere als unangenehm, vielmehr war es eine befreiende Unterbrechung des ewig gleichen Alltagstrotts. »Gehen wir in die Küche, da können Sie mich bei einer schönen Tasse Tee gerne ins Verhör nehmen.« Mit einer weit ausholenden Geste bat der Riese die beiden Polizisten in die Küche, ein kleiner Nebenraum mit billiger Küchenzeile, Kühlschrank, einem Wasserkocher, einer Kaffeemaschine und einem gestapelten Turm aus drei Bierkästen. Die meisten Flaschen im obersten Kasten waren leer, es roch nach Bier und überreifen Bananen. Auf einem Teller mit Croissantkrümeln fraßen sich zwei Fliegen satt. Werner Siebert schaute Gisela abschätzend aus zusammengekniffenen Augen an. Er brummte nachdenklich, wiegte den Kopf. »Ingwertee.«
    »Kaffee. Tee trink ich nur, wenn ich krank bin.« Werner Siebert brummte erneut, diesmal missmutig. Er wandte sich Lederer zu. Der kam dem Riesen zuvor.
    »Danke, für mich nichts.«
    Werner Siebert befüllte den Wasserkocher. »Also, bitte, stellen Sie Ihre Fragen. Sie haben genau fünfzehn Minuten, dann ist meine Pause vorbei.« Er schaltete den Kocher ein, holte zwei Tassen aus einem Hängeschrank über der Spüle.
    »Erkennen Sie diese Schrift?« Lederer hielt ihm den Beutel mit dem Fünfziger vors Gesicht. Der Riese schob die Lesebrille von der Stirn auf die Nase, musterte das Zitat kurz. »Theodor Körner.«
    Brille wieder hoch. Kaffee aus der Glaskanne in eine der Tassen. »Milch? Zucker?«, fragte er, ohne sich zu Gisela umzudrehen.
    »Schwarz.« Werner Siebert reichte ihr die Tasse, zog eine altertümliche Blechdose zu sich, in der Teebeutel lagerten, und suchte nach einer bestimmten

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