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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
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den Satz aber nicht entziffern.
    »Erst seit ich liebe, ist das Leben schön. Erst seit ich liebe, weiß ich, dass ich lebe«, half Lederer nach.
    »Theodor Körner«, meinte Gisela. Lederer war für einen Moment sprachlos. »Ich kann lesen und schreiben, und wenn ich mir ganz viel Mühe geb, kann ich sogar rechnen. Aber das kommt zum Glück nicht so oft vor in meinem Beruf.«
    »Ich … ich war nur erstaunt, weil Sie auf Anhieb wussten, von wem dieses Zitat stammt. Ich musste mir das erst googeln.«
    »Meine Mama hat alles von ihm gehabt. Sollten Sie sich mal gönnen, aber in Ihrem Leben ist sicher immer irgendwas Wichtiges los, da geht das natürlich nicht.«
    Jetzt hatte sie ihre Befindlichkeit doch übermannt, und das ärgerte sie. Was musste dieser Pinsel sich auch so neunmalklug hinstellen und ihr mit diesem arroganten Unterton reinreiben, was für eine dumme Dorfgans sie war. »Ich seh aber leider immer noch nicht, inwiefern das eine Spur im Mordfall AK Dingsbums sein soll, Herr Kollege.«
    Lederer räusperte sich. »Nun ja, wenn man alle Umstände in Betracht zieht, die Falzkunst, das Zitat, die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Toten um eine Prostituierte handelt, dann liegt durchaus der Schluss nahe, dass ein männlicher Täter oder zumindest eine männliche Bekanntschaft ihr diese Banknote überreicht hat. Zudem würde ich mich nicht scheuen zu mutmaßen, dass der Täter über literarische Vorlieben verfügt, die hier nicht so häufig vorkommen. Abgesehen von Ihnen, natürlich, aber Sie dürften in Niedernussdorf eher die Ausnahme sein, oder?« Lederer versuchte, gut Wetter zu machen, was Gisela durchaus anerkannte.
    »Sie glauben also, dass dieser Fuffziger nicht durch Zufall im Besitz der Toten war?«
    »Richtig. Es war eine poetische Art der Bezahlung ihrer Liebesdienste.«
    »Was nicht heißt, dass der Kunde auch der Mörder ist.«
    »Keineswegs. Zumindest aber kannte er die junge Frau und könnte uns sicher mehr Auskunft über sie geben.«
    »Er muss nicht aus Niedernussdorf sein.«
    »Natürlich nicht. Aber irgendwo müssen wir ja mit unseren Ermittlungen anfangen.«
    »Wir?«
    Lederer atmete einmal tief durch.
    »Ja, mir bleibt nichts erspart«, sagte er übertrieben gequält, der Schalk in seinen Augen blitzte dabei. »Und Ihnen auch nicht.«
    Gisela grinste. Manchmal hatte dieser Straubinger ganz sympathische Züge. Sie betrachtete den Fünfziger und das Zitat.
    »Spontan fallen mir da nur zwei Leute ein. Der Siebert Werner und der Köhler Hans.« Ihr Blick richtete sich auf Lederer. »Der eine ist Lehrer an der Volksschule, der andere Buchhändler. Beide sind etwas anders, möcht ich mal sagen.«
    »Inwiefern?«
    »Der Siebert, der steht kurz vor der Pensionierung, mein Neffe hat den vier Jahre lang gehabt. Mathe ging ja noch, aber Deutsch, meine Güte, was der Bub da mitgemacht hat. Ich weiß nicht, ob Sie das noch kennen, diese Fleißheftchen, aber so wie ich Sie einschätze, schon, also da hat der Siebert immer so Zitate reingeschrieben, was Kinder ja nicht die Bohne interessiert. Aber ihm war das wichtig. Damit wollte er die Kinder zu anständigen Erwachsenen erziehen. Der Mann hat sich immer als verhinderter Schriftsteller oder, besser gesagt, als verkannter Poet gesehen, der eine Aufgabe in dieser Welt hat.«
    »Aha. Und der andere, der Buchhändler?«
    »Der wohnt mit seiner Mutter zusammen.«
    Lederer legte den Kopf leicht schief, so als wäre er schwerhörig. »Heißt?«
    »Er ist fünfundvierzig.«
    Lederer runzelte fragend die Stirn. Gisela setzte zu einer Erklärung an, aber dann ließ sie es bleiben.
    »Das sehen Sie dann schon. Wo wollen Sie zuerst hin?«
    Lederer schaute nachdenklich auf die Banknote, steckte sie in seine Manteltasche. »Zum Lehrer.«
    Gisela öffnete die Bürotür und ließ Lederer den Vortritt. Schorsch war immer noch am Telefon.
    »Wie kommen Sie eigentlich drauf, dass die Tote eine Prostituierte war?«, fragte Gisela Lederer.
    »Der eingebrannte Name über ihrer Brust, so kennzeichnen rumänische Zuhälter ihr Eigentum.«
    Gisela spürte, wie sich die Härchen auf ihren Unterarmen vor Entsetzen aufrichteten und sich ihre Kopfhaut zusammenzog.
    »Sie kaufen die jungen Dinger von ihren Eltern, da sind die zwölf, dreizehn …« Gisela hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. Sie wollte nicht mehr hören, sie hatte Angst vor den Bildern, die Lederers Bericht hervorrufen würde. Er selbst schien absolut unempfindlich. Nur der Anflug von Traurigkeit in

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