Unter aller Sau
den Stuhl, den Gisela ihm zuwies. Sie selbst lehnte sich ans Fensterbrett, war im hereinfallenden Sonnenlicht nur als Silhouette erkennbar.
»So, dann möchte ich jetzt gerne deine Version der Geschichte hören.«
Schorsch räusperte sich, leckte sich die Lippen und erzählte, was in dem Haus der Tomanovicis vorgefallen war. Er vermied dabei jeglichen Augenkontakt mit den beiden Rumänen.
»Also, ich … ich bin hoch in der ersten Stock, weil ich dachte mir, dass oben bestimmt das Schlafzimmer ist.«
»Aber du wolltest aufs Klo?«, sagte Gisela.
Schorsch grinste, zuckte zusammen, weil das seiner Nase gar nicht gut bekam.
»Ja, hab ich gesagt, aber ich wollt doch nach den Klamotten schauen.«
»Von dem Herrn Vlad Tomanovici?«
»Mhm. Ich mein, wenn ich die gefunden hätt, wär ja klar gewesen, dass er gelogen hat. Oder?«
Gisela ignorierte Schorschs unsicheren Blick.
»Du bist also hoch … und dann?«
»Dann bin ich ins erste Zimmer. Das war so eine Art Zelle, also relativ klein, die Wände alle mit so Schaumstoff tapeziert, und das Fenster war auch mit einer Eisenplatte zugemacht. Ich hab mir gedacht, dass da drin keine Klamotten sind, und bin weiter zur nächsten Tür.«
Seine Augen huschten über die Tomanovicis, die Schorsch gelassen zuhörten.
»Das war ein Schlafzimmer, mit einer Badewanne im Boden, hab ich ja noch nie gesehen so was. Und da saß der da«, er deutete auf Ionel, »auf dem Bett und hat Fernsehen geschaut. Eine Kochsendung, glaub ich.«
»Und er hat dich gesehen.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Schorsch nickte.
»Der ist raus aus dem Bett und sofort auf mich los. Ich hab gar keine Chance gehabt, irgendwas zu sagen. Der ist volle Kanne in mich rein.« Schorsch zuckte mit den Schultern. »So war das.«
Gisela nahm Ionel ins Visier.
»Das deckt sich jetzt nicht hundertprozentig mit Ihrer Aussage.«
Ionel verzog seine angeschwollenen Lippen zu einem unförmigen Lächeln.
»Tja, aber wer sagt die Wahrheit. Niemand von Ihnen war dabei.«
»Das ist im Augenblick zweitrangig. Tatsache ist, dass Sie einen Polizeibeamten tätlich angegriffen haben, wofür ich Sie festnehme.«
Ionel lachte auf, schaute zu seinem Vater.
»Tun Sie das nicht, Gnädigste«, sagte Vlad mit leiser Stimme.
Gisela hatte es gefressen, wenn Sie einer so blöd anredete.
»Genau das werd ich aber tun, Gnädigster. Ihr guter Herr Sohn kommt jetzt erst mal nach Straubing, dort wird er dem Haftrichter vorgeführt, und der wird aufgrund Ihrer Aussage und der meines Kollegen entscheiden, ob der Herr Sohn bis auf weiteres in Haft bleibt.«
»Das können Sie nicht machen, das ist lächerlich!« Ionel sprang so heftig auf, dass sein Stuhl nach hinten gegen die Wand rutschte. Er deutete anklagend auf Schorsch. »Er kommt ungefragt in mein Zimmer, Sie hatten keinerlei Befugnis dazu. Wir könnten Sie genauso gut wegen Hausfriedensbruch anzeigen.«
»Das bleibt Ihnen unbenommen«, erwiderte Gisela kühl. Sie bedachte Schorsch mit einem kurzen Seitenblick. »Und sollten die Ermittlungen ergeben, dass mein Kollege gegen die Vorschriften gehandelt hat, dann wird das sicher Konsequenzen für ihn haben.«
»Konsequenzen, klar.« Ionel deutete auf sein Gesicht. »Und der andere, der kann sich gleich warm anziehen, das regle ich ohne Gericht.«
Vlad zupfte maßregelnd an Ionels Ärmel. Der aufgebrachte Rumäne setzte sich widerwillig.
»Hören Sie, Frau Polizistin …«, Vlad gab sich Mühe, charmant zu klingen, aber sein kühler Blick untergrub das, »… wieso vergessen wir das Ganze nicht, im Grunde hat keiner wirklich einen Schaden erlitten.« Er deutete auf Ionel. »Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man doch so schön, und wieso sollen wir uns gegenseitig mit Anzeigen und Anklagen überziehen? Das bringt doch nur Ärger.«
»Genau den will ich ja«, sagte Gisela fest. »Sie scheinen vergessen zu haben, weshalb wir bei Ihnen waren.«
Vlad erwiderte Giselas Blick. Er atmete tief durch, stemmte sich aus seinem Stuhl hoch. Kurz sank sein Kinn auf die Brust. Als er den Kopf wieder hob, rieselte Gisela die Gänsehaut das Rückgrat hinunter. Vlads gesundes Auge wurde feuerrot, als er sprach.
»Sie hätten sich nicht mit mir anlegen sollen, Frau Polizistin. Jetzt wird das Ganze wohl böse enden.«
Gisela streckte ihr Kinn kampfeslustig vor.
»Wollen Sie mir drohen?«
»Nicht drohen. Warnen.«
Jede Falte in dem kantigen Gesicht schien wie mit dem Rasiermesser eingraviert, die Nase wirkte wie der Schnabel
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