Unter aller Sau
umeinander. Schorsch näherte sich dem Alten schnaufend. Nur ein Fußweg führte hinauf zum Aussichtspunkt, und dank einer Steigung kurz vor dem Ende war er für ungeübte Wanderer sehr kräftezehrend.
Keuchend ließ sich Schorsch neben Jakob nieder. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht. Jakob reichte ihm eine Plastikflasche mit Wasser. Er nahm sie dankend, trank gluckernd.
»Wisst ihr schon, wo sie ist?« Jakob schaute Schorsch mit durchdringendem Blick an. Verzweiflung schimmerte darin. Er dachte, Ionela wäre verschwunden, ohne sich von ihm zu verabschieden.
Schorsch schüttelte den Kopf, gab die Flasche zurück. Seine Atmung beruhigte sich nur langsam. Er war sich unschlüssig, ob er dem Alten von Ionelas Tod erzählen sollte.
Jakobs Blick wanderte wieder zu der Klosterschule, zu dem Fenster, an dem er seine Frau zum ersten Mal gesehen hatte. Er drückte die Flasche so fest mit seinen Händen, dass das Plastik knackte.
»Hoffentlich kommt sie bald wieder«, murmelte Jakob.
Schorsch hatte Mitleid mit dem Alten.
»Vielleicht ist sie heimgefahren«, sagte er.
»Aber sie ist doch hier daheim?«, Jakob war überrascht. »Gisela hat jedenfalls gesagt, die bleibt länger.«
»Mei, manchmal soll’s halt nicht sein.«
Mehr brachte Schorsch nicht hervor, und mehr wollte Jakob auch nicht wissen. So saßen sie noch eine Weile auf der Bank, bevor Schorsch Jakob zum Wegmeyerhof zurückbegleitete.
Gisela stand vor einem schmucklosen Reiheneckhaus an der Peripherie Straubings. Der Rasen war sauber gestutzt, Johannisbeersträucher wuchsen am Zaun zum Nachbargrundstück entlang, und ein Gartenzwerg in Lederjacke und mit Pistolenholster empfing den Besucher mit lächelnder Miene. Sie drückte den Klingelknopf neben dem Namensschild. Es dauerte nicht lange, bis ein Summen das Gartentor entriegelte und Gisela den Terrakottaweg zur Haustür beschreiten konnte.
Lederer öffnete die Tür. Er trug einen Hausanzug aus dunklem Baumwolljersey, der so locker und lässig an seinem Körper saß, dass der Hauptkommissar unerwartete Gemütlichkeit und Entspanntheit ausstrahlte. Im Einklang mit seiner eigentlichen Natur warf er einen finsteren Blick auf das Päckchen in Giselas Händen.
»Was ist denn da drin?«
»Kuchen. Mögen Sie Schokolade?«
»Ich hasse Schokolade.«
»Gut, weil ich hab nur Obstkuchen gekauft.«
Sie drückte sich an Lederer vorbei in den kleinen Flur, der komplett mit Carraramarmor ausgestattet war. An Stahlseilen, die sich wie ein Spinnennetz über die gesamte Wohnung spannten, hingen Halogenstrahler und glotzten auf die Besucherin herab. Vom Flur führte rechter Hand eine Marmortreppe in den ersten Stock, linker Hand eine Marmortreppe hinunter zum Keller. Lederer deutete geradeaus auf eine offene Doppeltür.
»Die Herrschaften sind im Garten.«
»Im Sommer haben Sie’s schön kalt hier, was?« Gisela spürte die Kälte des Marmors sogar durch ihre Uniform.
»Ich hab’s das ganze Jahr über kalt«, knurrte Lederer.
Das durchgestylte Wohnzimmer, das von einem riesigen Flatscreen samt Dolby-Surround-Lautsprechern dominiert wurde, war hell und sonnig. Deckenhohe Kunststofffenster ließen Sonnenlicht in jeden staubfreien Winkel des Zimmers. Ein kleines rundes Gerät, das zufrieden vor sich hin brummte, steuerte auf Gisela zu, umrundete sie geschickt und verschwand unter der Couch. Gisela kannte diese Staubsaugerroboter aus einem Ideenkatalog, den sie ungefragt einmal im Monat von einem Münchner Edelkaufhaus zugeschickt bekam.
»Ist das Ihr Haustier?« Es sollte ein kleiner Scherz sein, um die frostige Stimmung etwas zu enteisen, doch der Erfolg blieb aus.
»Ich mach einen Kaffee.« Ohne ein weiteres Wort bog Lederer durch einen kleinen Torbogen in die Edelstahlküche ab.
Gisela entdeckte Jana und ihre Eltern im Garten unter einem gigantischen Sonnenschirm. Sie saßen auf Teakklappstühlen um einen ovalen Teakklapptisch herum und spielten Rummikub. Gisela trat auf die großzügige Terrasse, die von mehreren Loungesesseln, zwei Loungesofas und einem Tisch aus Rattan bevölkert war, und spazierte über den englischen Rasen. Der Garten war ringsherum durch drei Meter hohe Bambuspflanzen vor neugierigen Blicken geschützt. Außer einem kleinen Teich, in dem zwei Kois sich träge treiben ließen, und einem winzigen japanischen Ziergarten, gab es keinerlei Schnickschnack. Die klare Linie entsprach voll und ganz dem Charakter Lederers.
Jana und ihre Eltern schauten neugierig auf,
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