Unter aller Sau
Ende zwanzig durften die jungen Frauen gehen. Wie ihre Zukunft aussehen sollte, war den Tomanovicis egal. Solange sie den Mund hielten, war für Vlad und Ionel alles gut. Die jungen Frauen wussten, was passieren würde, sollten sie von ihren Erlebnissen erzählen. Vlad hatte genug Schergen zur Hand, die eine stille und rasche Entsorgung des Plappermauls erledigten. Das Gesetz des Schweigens wurde zum elften Gebot für die Frauen.
Jana träumte von einem Leben außerhalb ihrer Gefangenschaft, und sie war sich sicher, dass alle anderen das auch taten. Keine wagte es jedoch, diese Träume zu verwirklichen. Bis auf Danijela. Jana hatte sie einmal erwischt, als sie Geldscheine gezählt und in eine Plastiktüte gepackt hatte. Sie hatte bei zwei Stammkunden mehr verlangt, als mit Ionel ausgemacht worden war. Diesen Überschuss hatte sie seit Monaten gespart, es waren knapp dreitausendfünfhundert Euro. Sie hatte gestrahlt, als sie Jana von einem Kunden erzählte, der ihr eine Wohnung und ein sorgenfreies Leben versprochen hatte. Unter der Traurigkeit Danijelas war zum ersten Mal Optimismus zu spüren gewesen, der auch Jana fröhlich gestimmt hatte. Nichts hätte sie Danijela mehr gewünscht als einen Neuanfang.
Es sollte anders kommen. Schlimmer. Danijelas zweiter Stammkunde hatte offenbar spitzgekriegt, dass sie bald nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Daraufhin hatte er sich bei Ionel beschwert, der wiederum Danijela nach ihrer Schicht im Kellerzimmer aufgesucht hatte. Er riss sie mit brutalen Ohrfeigen aus dem Schlaf, brüllte sie an, was sie sich einbilde. Sie sei sein Eigentum, und nur er bestimme über sie. Jana hielt sich in ihrem Bett mucksmäuschenstill, während Ionel geifernd und schreiend mit einem Totschläger auf Danijelas Körper eindrosch.
Schließlich kam Vlad hereingestürzt und riss seinen Sohn zurück. Er ohrfeigte Ionel, damit der zu sich kam, schickte ihn aus dem Zimmer und kümmerte sich um Danijela, die zusammengekrümmt wie ein Baby auf dem Boden lag. Sie gab keinen Laut von sich, als Vlad sie abtastete und sich nach Schmerzen erkundigte. Er hob sie auf, legte sie ins Bett und deckte sie zu wie ein Vater sein Kind, das in der Nacht aus dem Bett gefallen war. Beim Hinausgehen warf Vlad Jana einen warnenden Blick zu. Sie sollte sofort vergessen, was sie gesehen hatte.
Kaum war die Tür zu, schlich Jana zu Danijelas Bett. Die junge Frau konnte sich nur unter Schmerzen bewegen. Sie rutschte unter großen Anstrengungen aus dem Bett, zog sich an. Sie holte die Plastiktüte aus ihrem Versteck und stahl sich mit Janas Hilfe vom Hof.
Jana hatte Danijela bis zum Waldrand begleitet und ihr nachgesehen, bis sie humpelnd in der Dunkelheit des Waldes verschwunden war. Dann war sie zurückgekehrt, hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und am nächsten Tag wie gewohnt ihre Arbeit gemacht. Jede Sekunde hatte sie an Danijela gedacht und gebetet, dass sie es schaffen würde.
Nachdem Jana ihre Schilderung beendet hatte, lag ein bedrückendes Schweigen in Lederers Büro. Gisela riss ein Fenster auf, atmete ein paarmal die laue Abendluft ein. Sie war unfähig, ein Wort zu sagen. Zu viele Bilder von Gewalt und Misshandlung wirbelten durch ihren Kopf und blockierten die Verbindung zu ihrer Zunge.
Jana unterschrieb ihre Aussage, ein Beamter brachte eine Kopie zur Richterin, eine weitere zum Staatsanwalt. Lederer fuhr Jana nach Hause, wo die junge Frau ihren Eltern weismachte, sie hätten Trauringe angesehen. Lederer nickte mit treuherzigem Blick dazu. Er hatte beschlossen, den Verlobten zu geben, bis Ionel und Vlad das Handwerk gelegt war. Gisela dankte ihm diese großzügige Geste mit warmen Worten.
»Ich hoffe nur, dass eine Verurteilung der beiden vor meiner Hochzeit kommt«, scherzte Lederer. Es war einer der seltenen Momente, in denen Gisela seinen Humor und damit seine menschlichste Seite aufblitzen sah.
»So eine schlechte Wahl wär die Jana ja nicht, oder?«, triezte sie ihn. Lederer grinste nur, verabschiedete sich von ihr.
Etwas ruhiger fuhr Gisela nach Hause. Sie hoffte, dass Janas Aussage zu einer Anklage gegen Ionel führen würde. Sobald das geschehen war, müsste Vlad einsehen, dass er seinen Sohn mit verbrecherischen Methoden nicht mehr aus dem Gefängnis würde holen können.
Zurück auf dem Wegmeyerhof fand Gisela Jakob und Schorsch einträchtig vor dem Fernseher schlafend vor. Ludwig hatte es sich mit einem Weißbier im Ohrensessel gemütlich gemacht und verfolgte eine
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