Unter alten Bannern (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
als er das System der Leichenaufbewahrung verstanden hatte. Er wollte die Namen derer lesen, die vor langer Zeit einmal hier ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Er fand es seltsam, dass er sich hier, an diesem Ort, darüber Gedanken machte. In Schwarzenberg hatte er nur selten die Häuser der Toten besucht. Nicht einmal am Grab seiner Mutter hatte er mehr als ein paarmal verweilt. Wer tot war, war tot. Die Toten scherten sich nicht um die Belange der Lebenden und die Dinge der Welt. Sie hatten sie einfach hinter sich gelassen und waren ihr entflohen. Jene, die zurückblieben, sollten nach vorne sehen und nicht in Erinnerungen schwelgen. Dies war bisher seine Meinung zum Sterben und dem Tod gewesen. Aber hier in dieser Totenstadt, wie ihm der Stadtteil vorkam, änderte sich seine Meinung darüber. Er wusste zwar nicht, warum dies nun passierte, aber er brachte den Toten eine gewisse Achtung entgegen. Zuvor hatte er ihnen nie einen Gedanken gewidmet. Lag es vielleicht daran, dass ihm die Gräber die Geschichte der Verstorbenen erzählen wollten? An manchen war auch die Todesursache angeschrieben und den Titel, den jemand geführt hatte. Es machte ihn traurig. Hier lagen so viele Leben begraben, und so viele Schicksale hatten hier an diesem Ort ihr Ende genommen. Vielleicht würde sich bald niemand mehr daran erinnern, wenn ihr Plan fehlschlug und sie alle am Hildring getötet wurden. Keiner der Menschen, die bald fallen würden, konnte darauf hoffen, dass er je so eine Grablege wie diese um ihn herum erhalten möge. Nie mochte er selbst darauf hoffen können, dass einst ein Wanderer daherkam, der die Platte an seinem Grab las und sagte: »Kinder, seht her, hier liegt ein gewisser Turgos, er war einstmals der Baron von Schwarzenberg und starb am Hildring für unser aller Zukunft.« Denn diese Zukunft stand mehr infrage als je zuvor. Turgos drehte sich um und verließ die Nekropole. Er wollte danach sehen und helfen, dass die Vorbereitungen gut vorangingen. Er mochte es nicht mehr leiden, hier untätig seine Zeit zu verbringen, wenn die ganze Welt und deren Zukunft auf dem Spiel standen. Hier bei den Gräbern erkannte er schließlich die Wahrheit in Whendas Worten. Er hatte ihr zwar schon Glauben geschenkt. Aber nun verstand er auch, dass er selbst davon betroffen war. Seine Welt war geschrumpft. Sie würde dies weiter tun, wenn er nicht dagegen ankämpfte.
Im Hildring
9. Tag des 8. Monats 2515
Mago kam gerade von der Inspektion der Kampflinien zurück und traf im Lager auf Temlas. Dieser hatte die Nahrungsmittelvorräte einzuschätzen versucht und war zu einem niederschmetternden Ergebnis gelangt. Sie hatten es zwar schon vorher geahnt, aber nun bestätigten sich ihre Befürchtungen. Für ganze zehn Tage würden sie noch zu essen haben. Mit etwas Glück mochte es vielleicht noch für zwölf reichen. In einer Woche schon würde auch ihr letztes Pferd geschlachtet sein. Noch immer hatten sie keinen Plan gefunden, der ihnen als aussichtsreich für einen Ausbruch aus dem Tal des Hildrings erschien. Es sah ganz danach aus, als würde es keinen geben. In ihren Planspielen waren Mago und Temlas alles Mögliche miteinander durchgegangen. Leider endeten alle in einem Fiasko. Sie hielten auch nur so lange hier aus und unternahmen bisher nichts, weil Mago noch darauf hoffte, dass ihre Feinde zuerst den Fehler begingen und einen Angriff auf ihre Stellungen wagten. Leider erfüllten sich auch diese Hoffnungen nicht. Der Feind blieb, wo er war. Die Höhen von Gosch verdeckten die Sicht auf dessen Lager. Am Anfang war es noch möglich gewesen, die Feinde aus den südlichsten Bergen des Hildrings heraus zu beobachten. Aber auch diese Möglichkeit wurde ihnen fast ganz genommen. Nur das Lager des Thains von Kelnorien konnten sie noch einsehen. Die Lager des Waldlandes und das von Fengol lagen nicht mehr in ihrer Sichtweite, seit ihnen der Feind die südlichen Berge streitig zu machen begann. Dort war auch der einzige Ort, an dem es hin und wieder zu vereinzelten Kämpfen gekommen war. Diese hatten zwar mehr etwas von kleinen Scharmützeln gehabt, dennoch hatten sie sich immer weiter in die Berge zurückziehen müssen und jene Ebene, die die Einheimischen in ihrer Armee das Glad nannten, war nun fest in der Hand der Männer des Thains von Kelnorien. Mago hatte einen guten Aufstellungsplan entwickelt. Sollten die Thaine es wagen, den Hildring zu erstürmen, dann wollte er sie in eine gut vorbereitete Falle locken.
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