Unter alten Bannern (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
erster Eindruck war falsch. Der Mann löste mit dem langen Stab die Kette vom Pfahl und nahm Tankrond damit jede Chance auf einen weiteren Versuch. Es wäre auch sinnlos gewesen, denn er war nun entdeckt. Mit Schrecken sah er, wie seine Halskette an der Stange entlang direkt in die Hände des Mannes rutschte, als dieser sie senkrecht anhob. Schwimm zurück an Land, Junge, glaubte er diesen rufen zu hören. Und da ihm wirklich die Kräfte ausgingen, tat er, wie ihm geheißen. Er wusste zwar nicht, ob er es noch schaffen konnte, zurück an Land zu gelangen. Wenn er es jedoch jetzt nicht versuchte, dann würde es ihm sicher nicht mehr gelingen. Das Wasser zog erbarmungslos an seiner Kleidung und wollte ihn hinunterziehen. Er stemmte sich dagegen und schwamm mit letzter Kraft ans Ufer. Er hätte selbst fast nicht mehr geglaubt, dass er es erreichen würde, doch es gelang ihm. Er musste jedoch auf allen Vieren kriechend endgültig aus dem kalten Nass heraus. Um aufrecht zu gehen, fehlte ihm die Kraft. Nach einigen Augenblicken erst durchfuhr ihn der Zorn über sein Scheitern, er war jedoch zu erschöpft, um sich diesem auch hinzugeben. Er würde zum Schiff hingehen müssen, um seine Kette zurückzuverlangen. Dieser peinliche Gedanke nahm ihn ganz ein. Er zitterte und fror fürchterlich. Nun würde er auch Nimara und Elgar eine Erklärung schuldig sein. Er lag noch immer auf dem Bauch und merkte nicht, dass der Seemann einige Männer auf dem Kai über den unliebsamen Besucher in Kenntnis gesetzt hatte. Wie es Tankronds Unglück wollte, war Elgar darunter, der seine Post schon auf einem der anderen Schiffe dem Kapitän anvertraut hatte. Elgar traute seinen Augen nicht, als er sah, dass es Tankrond war, der bis auf die Knochen durchnässt dort am Ufer lag.
»Was hast du dir denn dabei gedacht, Junge?«, wollte er wissen.
Tankrond schwieg jedoch und sagte nichts zu seiner Verteidigung. Da Elgar nicht wusste, was Tankrond eigentlich im Wasser verloren hatte, half er ihm auf und gab ihm seinen Mantel, damit er wenigstens etwas Trockenes am Leib trug.
»Komm, wir gehen schnell nach Hause, Junge. Du musst aus der nassen Kleidung heraus«, beschied er in seinem gewohnten Befehlston. Tankrond schaute noch einmal zurück zu dem Schiff, auf das er hatte klettern wollte. Er konnte den Seemann jedoch nicht mehr sehen, der nun seine Halskette hatte. Er konnte auch nicht sagen, warum er nicht wenigstens versuchte, sie zurückzubekommen. Hätte er Elgar das Vorgefallene geschildert, wäre dieser sicher noch einmal an Bord des Schiffes gegangen und hätte sie für ihn geholt. Elgar wusste schließlich, dass die Halskette für Tankrond von einem großen persönlichen Wert war. Sie war alles, was er noch von seinen Eltern hatte. Während sie nach Hause gingen, sprachen sie fast nichts miteinander. Elgar wollte erst warten, bis der Junge wieder trockene Kleidung anhatte, ehe er erf ragen wollte, was vor sich gegangen war. Tankrond schwieg auch und sah vor sich auf den Boden. Er wunderte sich nur noch einmal kurz über die Stimme, die er von dem Mann auf dem Schiff zu hören geglaubt hatte. Hatte er diese wirklich gehört oder war sie nur in seinem Kopf zu gewesen? Er musste sich selbst darüber wundern, dass er ihrer Aufforderung so schnell gefolgt war. Eigentlich war er etwas hartnäckiger und hätte bestimmt noch einen, wenn auch sicher sinnlosen, Versuch unternommen, an Bord des Schiffes zu gelangen.
Erst am Abend dieses Tages wurde ihm der Verlust seiner Halskette richtig bewusst und er ärgerte sich, dass er sie nicht wiedergeholt oder zumindest etwas zu ihrer Rettung unternommen hatte. Nun war sie fort und mit ihr das Andenken an seine Eltern. Zu Elgar und Nimara hatte er gesagt, dass er ins Wasser gefallen sei. Elgar, dem diese Erklärung nicht ausreichte, bohrte noch etwas nach. Schließlich kam er jedoch zu dem Schluss, dass Tankrond ihm keine weitere Auskunft mehr geben würde, und unterließ es, weiter nachzufragen. Eines Tages mochte ihm Tankrond vielleicht diesen Vorfall erklären – er hatte Zeit.
Tankrond wusste, dass die Schiffe der Anyanar zum Ende des Jahres wieder zurückkehren sollten. Er hatte die Männer oft darüber reden gehört. Seine Hoffnung lag nun darauf, dass er seine Kette zurückbekommen würde, wenn der Mann, der sie ihm abgenommen hatte, wieder in Schwarzenberg war. Er könnte dann ja herumfragen, bis er ihn fand. Niemand hatte je den Anyanar nachgesagt, dass sie Diebe seien. Sicher würde ihm jener
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