Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Connelly
Vom Netzwerk:
Er war Luke so ähnlich, dass sie sich dauernd an ihn erinnert fühlen würde. Nein, sie mussten unbedingt hier raus.
    »Okay«, sagte er beiläufig und biss so gierig in seinen Toast, dass er fast seine Finger erwischt hätte. »Wo soll’s denn hingehen?«, fragte er mit vollem Mund.
    Claudie runzelte die Stirn und überlegte, was sie vorschlagen könnte. Sie besaß kein Auto, und Daniel war ein eingefleischter Biker. Früher hatte er einmal mehrere Motorräder besessen, hatte sie jedoch nach und nach verkaufen müssen, und zwar immer dann, wenn er mal wieder pleite war.
    Sie sah ihm zu, wie er sich mehrere Scheiben Toastbrot dick mit Butter beschmierte und in null Komma nichts verschlang.
    »Wir könnten nach Staithes fahren, wenn du Lust hast«, sagte sie schließlich. »Aber zuerst müssen wir einkaufen gehen.«
    »Alles klar«, erwiderte er. »Ich gehe immer gern einkaufen.«
     
    Zu behaupten, Claudie nutzte die Gelegenheit aus, dass sie in Daniels Begleitung im Supermarkt war, wäre weit untertrieben. Anstatt einer kaufte sie jetzt vier Flaschen Orangensaft.
    Anstatt vier einzelne Kartoffeln auszuwiegen, nahm sie einen Zweieinhalb-Kilo-Beutel. Die schweren, voll bepackten Einkaufstüten, die Claudie so aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, dass sie ins Hafenbecken gestürzt wäre, wirkten in Daniels Händen federleicht. Und er bewegte sich zwischen den Regalen des Supermarkts wie in seinem angestammten Territorium. Er war der einzige Mann in Whitby, der blöd genug war, im April im T-Shirt herumzulaufen. Aber er schien die Kälte gar nicht zu spüren.
    Alle drehten sich nach ihm um. Mit seinem federnden Gang und den muskulösen Armen zog er die Blicke sämtlicher Frauen auf sich. Claudie fiel auf, wie sie ihn anstarrten: Sie lugten verstohlen zwischen Topfpflanzen zu ihm herüber, sie warfen ihm in der Gemüseabteilung kokette Blicke zu. Claudie überlegte kurz, ob sie sich bei ihm einhaken sollte, um die Frauen in ihre Schranken zu weisen, doch sie fand das Ganze eigentlich ziemlich amüsant, und er genoss die Aufmerksamkeit viel zu sehr. Wahrscheinlich lag das daran, dass er in London überhaupt keine außergewöhnliche Erscheinung war. In einer so großen Stadt fiel man nicht so leicht auf, aber um elf Uhr früh in einem Supermarkt in Whitby einem einsneunzig großen Mann mit pechschwarzem, langem Haar und umwerfend blauen Augen über den Weg zu laufen, das war etwa so, als würde man in einem Glückskeks einen Diamanten finden.
    Doch als sie an die Kasse kamen, war der Spaß vorbei. Während der vergangenen Monate hatte Claudie sich daran gewöhnt, für einen Einpersonenhaushalt einzukaufen. Aber was sie heute in ihren Einkaufswagen geladen hatte, kostete dreimal so viel wie ihr üblicher Wocheneinkauf, und Daniel hatte offenbar überhaupt kein Geld dabei. Während er in aller Ruhe die Lebensmittel in Plastiktüten verstaute, nannte die Kassiererin den Rechnungsbetrag, der so hoch war, dass Claudie gezwungen war, ihre Kreditkarte zu benutzen.
    Auf dem Weg nach Hause zerbrach sie sich den Kopf darüber, was diesen Einkauf wohl so teuer gemacht hatte. Die Großpackungen Papiertaschentücher, die sich wahrscheinlich sowieso beim ersten Gebrauch auflösen würden, konnten es nicht gewesen sein, auch nicht die zerbeulten Konservendosen, für die sie sich entschieden hatte, um ein paar Pennys zu sparen. Und am Zeitschriftenständer war sie tapfer vorbeigegangen, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
    Erst als sie zu Hause alles auspackten und Daniel klammheimlich mehrere Dosen Lager und eine Flasche Weißwein im Kühlschrank verschwinden ließ, war ihr plötzlich alles klar. Wie war es ihm bloß gelungen, das Zeug an ihr vorbeizuschmuggeln?
    »Wollen wir noch ein Häppchen essen, bevor wir losgehen?«, schlug Daniel vor und begann, von einem der zwei Brotlaibe Scheiben abzuschneiden, bevor Claudie eine Chance hatte, sie im Brotkasten zu verstauen.
    Claudie errötete, als er ihr zuzwinkerte, und verfolgte, wie er vier Scheiben Brot großzügig mit Butter bestrich. Wer hätte gedacht, dass dieser Mann Lukes kleiner Bruder war?

14
    Claudie wusste beim besten Willen nicht mehr, worüber sie mit Daniel reden sollte. Auf dem kurzen Weg nach Staithes waren sie alle erdenklichen Themen durchgegangen, und als sie jetzt auf den kleinen Hafen zugingen, fiel ihr einfach nichts mehr ein.
    Was sagte man zu jemandem, dessen Bruder gestorben war? Es gab einfach keine einer solchen Situation angemessenen Worte. Und

Weitere Kostenlose Bücher