Unter deinem Stern
überhaupt nicht um mich kümmern, hätte sich noch nie um mich gekümmert – und er würde mich nicht lieben.« Ihre Augen füllten sich schon wieder mit Tränen. Claudie rechnete damit, dass Kristen jeden Augenblick zusammenbrach. »Dabei weiß ich doch, dass er mich liebt! Warum kann ich damit nicht zufrieden sein? Warum erwarte ich noch mehr von ihm?«
»Weil du eine Frau bist. Es ist völlig normal, dass wir mehr von den Männern erwarten. Bei Luke und mir war es genauso. Ich glaube nicht, dass er sich je zu einem Heiratsantrag durchgerungen hätte, wenn ich nicht dauernd irgendwelche Anspielungen in die Richtung gemacht hätte.« Claudie wunderte sich über ihre eigenen Worte. Sie sprach fast nie über Luke, außer mit Dr. Lynton, und vor allem nie so beiläufig wie gerade eben.
Kristen schüttelte den Kopf. »Gott, Claudie, was rede ich eigentlich? Ich bin eine egoistische blöde Kuh. Ich sollte lieber daran denken, was du alles durchgestanden hast.«
»Kris, bitte–«
»Nein – hör zu. Du hast es so schwer, und du schlägst dich so tapfer. Sieh dir doch an, wie du dein Leben geregelt bekommst. Du bist einfach unglaublich, Claudie.«
»Nein, bin ich nicht.«
»Was soll das heißen, bin ich nicht? Natürlich bist du unglaublich! Ich an deiner Stelle wäre vollkommen durchgedreht.«
Claudie starrte auf das wabernde Muster in ihrem Teppich. Waberte es etwa immer so?
»Ich habe wirklich keine Ahnung, wie du das machst«, sagte Kristen.
»Willst du es wissen?«
»Soll das heißen, du hast ein Rezept?«
»Nicht direkt, aber etwas, was fast genauso gut ist.«
»Was ist es denn? Deine Musicals?« Kristen zeigte auf das Regal in der Ecke.
»Es hat weder etwas mit MGM noch mit Gene Kelly zu tun.«
»Sondern?«
Claudie zögerte kurz. Der Wein machte sich inzwischen deutlich bemerkbar, und wahrscheinlich würde sie ihre Offenherzigkeit später bedauern, aber das war ihr egal.
»Du hast doch sicher mitbekommen, dass ich im Büro ziemlich oft Selbstgespräche führe?« Sie schaute Kristen erwartungsvoll an.
»Ziemlich oft? Ich würde sagen, andauernd!« Kristen kicherte.
»Ja, aber das ist nicht so.«
»Was ist nicht so?«
»Es sind keine Selbstgespräche.«
»Wie meinst du das?«
Claudie holte tief Luft. »Ich habe Engel zu Besuch.«
Kristen verzog das Gesicht. »Engel?«
»Fünf Stück. Sie wohnen sozusagen auf meinem Schreibtisch.«
»Claudie? Ich glaube, wir haben zu viel getrunken.«
»Nein! Hör zu – es stimmt!«
»Dein Akzent ist wieder da.«
»Das ist der Wein!«, widersprach Claudie. »Ich sage die Wahrheit.« Sie atmete tief durch und überlegte, wie sie es ihrer Freundin beibringen sollte. »Die Sache ist schwer zu erklären. Aber auf meinem Schreibtisch im Büro haben sich fünf Engel häuslich niedergelassen.«
Kristen starrte sie mit offenem Mund an.
»Es ist absolut unglaublich. Anfangs hab ich meinen eigenen Augen nicht getraut. Ich dachte, ich würde mir das alles nur einbilden, weil – na ja, du weißt schon – doch sie sind wirklich echt. Sie sind genau, wie man sich Schutzengel vorstellt – nur viel, viel kleiner, und sie sind gekommen, um mich zu unterstützen – um mich aufzumuntern und mir über Lukes Tod hinwegzuhelfen.«
»Du nimmst mich doch auf den Arm?«
»Nein! Ich schwöre es«, erwiderte Claudie, ergriff Kristens Hände und drückte sie ganz fest.
»Du behauptest also, auf deinem Schreibtisch bei Bartholomew und Simpson’s treibt sich ein Haufen Engel rum?«
»Kein Haufen – eine Schar. So nennen sie das.«
»Wie passen die denn alle auf deinen Schreibtisch?«
»Die sind ganz winzig! Nicht größer als mein Stiftebecher.«
»So was wie Zwerge?«
»Nein!«
»Wie Kobolde?«
»Nein! Sie sind wie normale Leute. Nur eben viel kleiner.«
»Claudie«, sagte Kristen, und trotz des vielen Weins, den sie intus hatte, klang ihre Stimme ernst und streng. »Wir sind seit Jahren befreundet, und ich habe dich immer bei allem unterstützt, stimmt’s?«
Claudie nickte. »Sogar, als ich mich geweigert hab, Chemie als Leistungskurs zu wählen.«
»Genau«, erwiderte Kristen. »Selbst als du mit Craig Evans ausgegangen bist.«
Claudie verdrehte die Augen. »Warum musst du jetzt ausgerechnet diesen Namen erwähnen?«
»Weil ich dir etwas verdeutlichen will. Ich bin immer für dich da. Das weißt du doch, oder?«
»Natürlich weiß ich das.«
»Jetzt hör mir gut zu. Ich mache mir in letzter Zeit fürchterliche Sorgen um dich, Claudie. Ich hatte wirklich
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