Unter deinem Stern
geflüstert: »Und du siehst in dem Kleid aus wie Audrey Hepburn.«
Claudie hatte vor Freude gestrahlt. Er mochte vielleicht Audrey Hepburn und Katherine Hepburn ständig verwechseln, doch er hatte es verstanden, ihr im rechten Moment ein Kompliment zu machen.
Eine heiße Träne lief ihr über die Wange. Ihnen war so wenig Zeit gegönnt gewesen, um sich zu lieben, um Dinge zu tun, an die sie sich jetzt erinnern konnte. Sie dachte an ihr Hochzeitsalbum und daran, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, sich die Fotos in späteren Jahren zusammen mit Luke noch einmal anzusehen. Diese Freude würde ihr nun verwehrt bleiben.
»Weißt du noch, wie dein Onkel Hugh mit Kristen getanzt und ihr immer in den Ausschnitt geglotzt hat?«, hätte sie vielleicht zu ihm gesagt.
»Und wie Daniel mitten in seiner Rede als Trauzeuge gerülpst hat?«, hätte Luke gescherzt.
Mit wem würde sie die Erinnerung an diese Ereignisse nun teilen? Wie sie da in ihrem dunklen Zimmer lag, hatte sie das Gefühl, sie sei der einzige Mensch auf der Welt, der sich an Luke erinnerte. Alle andern hatten ihn offenbar vergessen. Den ganzen Tag über hatte niemand angerufen, um sie zu trösten, niemand hatte ein Wort darüber verloren, und auch sie selbst hatte es niemandem gegenüber erwähnt: Heute war Lukes Geburtstag. Aber was bedeutete ein Geburtstag, wenn man nicht mehr lebte? Und wie sollten die Hinterbliebenen den Tag jemals vorübergehen lassen, ohne sich daran zu erinnern?
Sie fragte sich, wo Luke jetzt wohl war. Wenn es einen Himmel gab, und die Engel schienen das zu beweisen, war er dann dort? Wachte er von oben über sie, so, wie Jalisa es gesagt hatte? Claudie wünschte sich von ganzem Herzen, er könnte sie besuchen. Sie wollte einfach nur wissen, dass es ihm gut ging – dass es auf der anderen Seite gar nicht so schlecht war. Was machte er die ganze Zeit? Kletterte er auf himmlische Berge? Das stellte sie sich gern vor – dass er tun konnte, was er am allerliebsten tat. Im Himmel waren die Berge natürlich weniger schroff und gänzlich ungefährlich. Da brauchte sie sich keine Sorgen mehr um ihn zu machen.
Claudie drehte sich auf die Seite, eine Träne fiel auf ihr Kissen. Kaum hörbar flüsterte sie: »Alles Gute zum Geburtstag, Luke.«
In der Nacht träumte sie von ihm. Sie gingen zusammen über einen windumtosten Strand in der Nähe von Whitby. Dorthin hatten sie häufig Ausflüge gemacht. Das Meer schimmerte dunkelgrün, und der Sand war nass, sodass ihre Fußabdrücke sich mit Wasser füllten.
»Du hast kalte Hände«, sagte er.
»Dann wärm sie mir.«
Er nahm ihre Hände in seine großen Pranken und rieb sie zärtlich, bis ihre Finger wieder warm wurden.
»Besser?«
»Besser.«
Luke beugte sich vor und küsste sie, bis ihr ganz heiß war.
»Ich liebe dich, Claudie«, flüsterte er. »Ich liebe dich.«
28
Simon ging von Zimmer zu Zimmer, zu unruhig, um sich irgendwo länger als ein paar Minuten aufzuhalten. Das Wochenende breitete sich vor ihm aus wie eine endlose, leere Leinwand ohne Form und Farbe. Es machte ihn verrückt, den ganzen Tag, jeden Tag allein in seinem Haus zu verbringen. Er musste unbedingt raus.
Endlich entschloss er sich, Claudie einen Besuch abzustatten. Es würde ein völlig normaler nachbarschaftlicher Besuch sein, nach dem Motto schön-dass-du-in-der-Gegend-wohnstich-würde-gern-den-ganzen-Tag-lang-dein-wunderschönes-Gesicht-anschauen.
Plötzlich war er ganz aufgeregt. Was sollte er nur zu Claudie sagen?
»Hallo«, sagte er.
»Was machst du denn hier?«, fragte Claudie.
»Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, mit mir auszugehen.«
»Ach, sieh mal einer an. Wie kommst du denn auf die Idee?«
Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
Simon schüttelte den Kopf, um das imaginäre Bild zu verscheuchen. Er war ja schon regelrecht paranoid. Sie war garantiert nicht der Typ Frau, der einem die Tür vor der Nase zuschlug.
»Hallo«, sagte er.
»Simon? Was für eine nette Überraschung. Ich hatte schon insgeheim gehofft, dass du mal bei mir vorbeikommen würdest.«
»Wirklich?«
»Natürlich! Seit dem Abend bei Kristen warte ich schon darauf. Was hat dich so lange aufgehalten?«
Wieder schüttelte Simon sich und vertrieb das Bild. Sie war sicherlich auch nicht die Sorte Frau, die so etwas von sich gab.
Wie würde sie also reagieren, wenn er an ihre Tür klopfte? Was würde sie sagen? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Er machte sich auf den Weg, und in weniger als
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