Unter deinem Stern
angenommen, dieser Therapeut in York, wie hieß er gleich, täte dir gut, aber jetzt wird mir klar, dass er dir nur das Geld aus der Tasche zieht.«
»Nein, tut er nicht, Kris.«
»Was soll dann diese hirnrissige Geschichte mit den Engeln?«
Claudie schürzte die Lippen. Es hatte keinen Zweck, Kristen überzeugen zu wollen. Sie war schon immer viel realistischer und bodenständiger gewesen, und das war wahrscheinlich der Grund, warum sie so gute Freundinnen waren: Sie ergänzten sich wunderbar. Wenn Kristen sich schon nicht darauf einlassen konnte, in die Traumwelt eines MGM-Musicals einzutauchen, dann bestand kaum Hoffnung, dass sie ihr die Nummer mit den Engeln abkaufen würde.
»Also gut«, sagte Claudie plötzlich und sprang auf. »Zieh deinen Mantel an.«
»Was?«
»Wir gehen raus.«
»Bist du verrückt? Es ist halb vier Uhr früh.«
»Egal.« Claudie war wild entschlossen.
»Es ist eiskalt.«
»Auch egal. Los, komm.«
Hätte Kristen nicht reichlich einen über den Durst getrunken, hätte Claudie sie an diesem frühen Aprilmorgen niemals überreden können, das Haus zu verlassen. Es war stockdunkel, und der Wind peitschte um ihre Körper, als wollte er sie häuten.
Beschwipst, wie sie waren, hatten sie wenig Hemmungen, in die Kanzlei einzubrechen, im Gegenteil.
»Was, wenn wir erwischt werden?«, fragte Kristen, dann prustete sie los.
»Keine Sorge. Ich hab’s schon mal gemacht.«
»Wirklich?«
»Ja. Die haben noch nicht mal eine Alarmanlage. Es ist kinderleicht.«
Kristen warf ihr einen bewundernden Blick zu, als hätte sie Claudie so etwas nie zugetraut.
Sie schlichen die Treppe hinauf und durch den Korridor, der zu ihrem Büro führte.
»Huah, ist das unheimlich«, flüsterte Kristen kichernd.
Claudie fasste sie am Arm. »Wart ab, bis du das Büro siehst.« Sie öffnete die doppelflügelige Tür.
»Heiliger Strohsack! Das ist ja wie im Kino!«
»Nicht wahr?«
»Warum machen wir das überhaupt?«
»Ich will dich meinen Engeln vorstellen.«
»O Gott. Das hatte ich schon ganz vergessen.«
»Hier.« Claudie schob Kristen auf ihren Schreibtisch zu. »Setz dich.« Sie holte sich Angelas Stuhl, ließ sich neben Kristen nieder und schaltete die Schreibtischlampe ein.
»Aua!« Kristen und Claudie kniffen die Augen zu und öffneten sie ganz langsam wieder, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen.
»Mr Woo?«, flüsterte Claudie.
»Hä?«
»Mr Woo – das ist einer von den Engeln.«
»Oh!« Besorgt musterte Kristen Claudies Gesicht.
»Sind Sie da?«, fragte Claudie.
»Ist hier jemand?« ,flüsterte Kristen kichernd.
»Kris!«
»Sorry.«
»Es kann sein, dass er nicht da ist«, erklärte Claudie. »Als ich das letzte Mal hier war, hatte er für die Nacht Bereitschaftsdienst.«
»Claudie?« Es war Bert.
»Bert! Hallo!«
»Was ist hier los?«, fragte er, nahm seinen Hut ab und kratzte sich am Kopf.
»Ich habe Kristen mitgebracht.«
»Das sehe ich. Nur wozu? Was hast du vor?«
»Ich will ihr beweisen, dass es euch wirklich gibt.«
»Du bist betrunken«, sagte Bert. Für einen so kleinen Mann klingt er ganz schön ernst, dachte Claudie.
»Na und?«
»Überleg dir, was du tust.«
»Was machst du da?«, fragte Kristen und starrte auf die Stelle auf dem Schreibtisch, die Claudie so konzentriert anschaute.
»Bert schimpft mit mir, weil ich betrunken bin.«
»Claudie«, sagte Bert. »Das ist nicht in Ordnung. Du solltest eigentlich wissen, dass du niemandem von uns erzählen darfst. So lautet die Vorschrift.«
»Noch nicht mal Kristen?«
»Noch nicht mal Kristen. Es hat keinen Zweck. Sie kann uns sowieso nicht sehen.«
»Aber wenn du vielleicht etwas aufheben oder etwas herumschieben würdest?«
»Claudie, du bringst uns noch alle in Schwierigkeiten, wenn du so weitermachst. Du weißt genau, was uns dann blüht.«
»Ja, das weiß ich«, seufzte Claudie. »Akten sortieren bis in alle Ewigkeit.«
»Claudie? Was redest du da für einen Blödsinn?«, fragte Kristen verwirrt und müde.
»Hab ein bisschen Geduld, Kris«, flehte Claudie. »Bitte, Bert. Kannst du nicht wenigstens den Stift da aufheben oder irgendwas?«
»Ich hab dir doch gerade gesagt –«
»Bitte! « Claudie schaute ihn herzzerreißend verzweifelt an. »Dann wärst du der beste Engel auf der Welt. Dann würde ich dich noch mehr lieben als Clarence in Ist das Leben nicht schön?«
Bert errötete über das Kompliment.
»Du musst mir fest versprechen, dass du den anderen nichts davon erzählst«, sagte
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