Unter dem Banner von Dorsai
dieser Frau unbekannt sein mußte. „Ich bin ihr Bruder … von der Erde. Berichterstatter Tam Olyn.“
Ich trug natürlich Umhang und Baskenmütze, und das reichte in gewisser Weise als Ausweis. Doch daran dachte ich in diesem Augenblick überhaupt nicht. Ich erinnerte mich wieder daran, als die Frau ein wenig nervös wurde. Wahrscheinlich hatte sie noch nie in ihrem Leben ein Gildemitglied leibhaftig vor sich gesehen.
„Nun, sie ist umgezogen“, sagte sie. „Für eine Person allein ist diese Unterkunft zu groß. Sie wohnt nun einige Etagen tiefer und nördlich von hier. Einen Augenblick, ich gebe Ihnen ihre neue Adresse.“
Sie sauste davon. Ich hörte, wie sie einige rasche Worte mit einer männlichen Stimme wechselte, dann kam sie mit einem Blatt Papier zurück.
„Hier“, sagte sie ein wenig außer Atem. „Ich hab’s für Sie aufgeschrieben. Sie gehen weiter diesen Korridor entlang … oh, wie ich sehe, haben Sie eine Wegweiserrute dabei. Dann stellen Sie sie einfach ein. Es ist nicht weit.“
„Ich danke Ihnen“, sagte ich.
„Keine Ursache. Wir waren Ihnen … nun, ich glaube, ich sollte Sie nicht aufhalten“, meinte sie, denn ich wandte mich bereits zum Gehen. „Wir waren Ihnen gern behilflich. Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen“, murmelte ich. Ich ging den Korridor hinunter und justierte meine Wegweiserrute neu. Sie geleitete mich fort und tiefer hinab, und die Tür, an der ich schließlich die Ruftaste betätigte, lag ein ordentliches Stück unter dem Bodenniveau.
Diesmal mußte ich länger warten. Dann öffnete sich die Tür endlich – und dort stand meine Schwester.
„Tam“, sagte sie.
Sie schien sich überhaupt nicht verändert zu haben. In ihrem Gesicht war kein Zeichen von Kummer oder Gram zu erkennen, und plötzlich erstrahlte der Glanz neuer Hoffnung in mir. Aber als sie einfach nur stehenblieb und mich schweigend ansah, verblaßte dieser Schimmer wieder. Ich konnte nur warten. Und so rührte ich mich ebenfalls nicht und stand ihr wortlos gegenüber.
„Komm herein“, sagte sie schließlich, doch ihr Tonfall hatte sich kaum geändert. Sie wich zur Seite, und ich trat ein. Hinter mir schloß sich die Tür.
Ich blickte mich um, und der Schock über das, was sich mir darbot, riß mich für einen Augenblick aus meinem emotionalen Elend. Der in Grau gehaltene Raum war nicht größer als das Erste-Klasse-Abteil, das ich während der Reise hierher in dem Raumschiff bewohnt hatte.
„Wie kommt es, daß du in einer solchen Wohnung lebst?“ platzte es aus mir heraus.
Sie sah mich ohne die geringste Reaktion auf meine Verblüffung an.
„Es ist billiger“, sagte sie gleichgültig.
„Aber du brauchst kein Geld zu sparen!“ sagte ich. „Ich habe doch alles mit deinem Erbe von Mathias geregelt: Ich bin mit einem auf der Erde arbeitenden Cassidaner daraufhin übereingekommen, daß er Gelder seiner Familie hierher an dich überweist. Willst du damit sagen …“ – dieser Gedanke war mir nie in den Sinn gekommen – „… daß es dabei Schwierigkeiten gegeben hat? Hat dich seine Familie nicht ausgezahlt?“
„Doch“, sagte sie ganz ruhig. „Aber jetzt muß ich mich auch um Daves Familie kümmern.“
„Familie?“ Ich starrte sie verwirrt an.
„Daves jüngerer Bruder geht noch zur Schule … schon gut.“ Sie stand noch immer. Und sie hatte mich auch nicht aufgefordert, Platz zu nehmen. „Es würde zu lange dauern, dir das alles zu erzählen, Tam. Warum bist du gekommen?“
Ich starrte sie an.
„Eileen“, sagte ich bittend. Sie wartete nur. „Sieh mal“, setzte ich erneut an und griff nach dem Strohhalm des von ihr angeschnittenen Gesprächsthemas, „selbst wenn du Daves Familie aushilfst … jetzt ist das überhaupt kein Problem mehr. Ich bin nun Vollmitglied der
Weitere Kostenlose Bücher