Unter dem Banner von Dorsai
Momente, in denen sie selbst unglücklich gewesen war: Jetzt endlich begriff ich, daß sie unglücklich und einsam gewesen war, doch damals war mir das nicht aufgefallen, weil mich mein eigener Kummer so gefesselt hatte. Plötzlich konnte ich mir auch jene Augenblicke ins Gedächtnis zurückrufen, in denen sie ihre eigenen Probleme beiseite gedrängt hatte, nur um mir bei meinen zu helfen. Und nie – ich konnte mich nicht einmal an ein einziges Beispiel entsinnen – hatte ich von meinen abgelassen, um ihre auch nur zu verstehen zu versuchen.
All dies stürzte nun wieder auf mich ein, und in meinem Innern krampfte sich alles zusammen, bildete einen eisigen und harten Knoten aus Schuldbewußtsein und Kummer. Zwischen einer Reihe von Phasenverschiebungen versuchte ich herauszufinden, ob ich meine Erinnerungen in Alkohol ertränken konnte. Aber ich mußte feststellen, daß mir auch diverse alkoholische Getränke keinen Ausweg boten. Und so gelangte ich nüchtern nach Cassida.
Es ist ein kleinerer und ärmerer Nachbarplanet von Newton, mit der sich diese Welt ein Sonnensystem von zwölf Himmelskörpern teilt. Cassida fehlt es an der akademischen Verbindung der anderen Planeten untereinander und deshalb auch dem spärlicher fließenden Nachschub an wissenschaftlichen und mathematischen Begabungen, die die früher besiedelte Welt Newton wohlhabend gemacht haben. Am Raumhafen der Hauptstadt Moro ging ich an Bord einer Fähre, die nach Alban flog, der von Newton finanziell unterstützten Universitätsstadt, wo Dave Phasenverschiebungsmechanik studiert und wo sowohl er als auch Eileen gearbeitet hatten, um sein Studium zu finanzieren.
Es war ein in sich verschachtelter Ameisenhaufen, eine Stadt, die verschiedene Ebenen umfaßte. Nicht daß es für ihre Errichtung an Platz gemangelt hätte: Doch der größte Teil Albans war mit Geldern von Newton gebaut worden, und die entsprechend den begrenzten Mitteln ökonomischste Bauweise war die, alle notwendigen Einrichtungen auf engstem Raum zusammenzufassen.
Am Fährenhafen besorgte ich mir eine Wegweiserrute und programmierte sie mit Eileens Adresse, die sie mir in jenem Brief angegeben hatte, der am Morgen des Tages von Daves Tod angekommen war. Die Rute zeigte mir den Weg und führte mich durch eine Reihe von vertikalen und horizontalen Röhren und Korridoren zu der Einheit eines Wohnkomplexes, der irgendwo über Bodenniveau lag – aber mehr konnte man über seine Position beim besten Willen nicht sagen.
Als ich in den letzten Gang hineinschritt, der zur Eingangstür der von mir gesuchten Adresse führte, begann in mir zum erstenmal der wirkliche Beweggrund emporzuschäumen, der mich davon abgehalten hatte, auch nur bewußt an Eileen zu denken – bis Lisa ihn mir schonungslos ins Gedächtnis zurückgerufen hatte. Das Bild, das sich mir auf der Waldlichtung von Neuerde dargeboten hatte, trieb wieder vor meine inneren Augen, so schrecklich klar und intensiv wie die Szene eines Alptraums. Und Angst und Wut begannen wie Fieber in mir zu brennen.
Einen Augenblick schwankte ich – und wäre fast stehengeblieben. Doch dann schob mich das Bewegungsmoment, das ich während der langen Reise hierher entwickelt hatte, weiter auf die Tür zu, und ich betätigte den Melder.
Eine Sekunden währende Ewigkeit geschah gar nichts. Dann öffnete sich die Tür, und das Gesicht einer Frau in mittleren Jahren blickte mir entgegen. Ich starrte es verblüfft an, denn es war nicht das Gesicht meiner Schwester.
„Eileen …“ stotterte ich. „Ich meine … Mrs. David Hall? Ist sie nicht da?“ Dann fiel mir ein, daß ich
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