Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
Ferienlagers für Kinder, in dem die Huntingfords jedes Jahr für drei Wochen abgestiegen waren. Einer nach dem anderen zwängten wir uns aus dem Taxi. Kein Schild wies mehr auf das Ferienlager hin, aber ganz am Ende eines mit Unrat übersäten Strandes stand eine heiße kleine Bretterbude, und dort gingen wir hin. Es stank nach Kanalisation und verwesendem Fisch. Aus einem halbfertigen Betonbau spross rostiger Stahl. »Hm«, sagte Mum und machte die Augen schmal, »das war also unser herrliches Ferienparadies.«
Wie durch ein Wunder gelang es Mr. Faraji, für jeden von uns ein kaltes Bier zu organisieren. Wir setzten uns in die Bretterbude, und Mum schilderte uns, wie dieser trostlose Strand zu ihrer glorreichen Kindheit ausgesehen hatte. Die nächste Runde kaltes Bier folgte der ersten auf dem Fuße, und die Sonne senkte sich langsam herab auf das Land und verwandelte die Meeresoberfläche in eine unbewegte goldene Fläche. In Mums Erinnerung war das Feriencamp in Mombasa eine beinahe ungetrübte Freude – sie durften den Schiffen bei der Einfahrt in den Hafen zusehen, nach Muscheln tauchen, die leeren Strände erkunden, innerhalb der Hainetze schwimmen (was erklären mag, warum Mum immer mit dem Kopf über Wasser schwimmt, als wollte sie nach Rückenflossen Ausschau halten). Der einzige Pferdefuß bei diesen Ferien schienen die Toiletten gewesen zu sein. »Die waren ziemlich ekelhaft. Es gab nur eine große Baracke für Männer und eine für Frauen, und in dem Frauenklo waren über einer einzigen riesigen Grube acht Löcher in einer Reihe in den Boden eingelassen – ohne Sichtblenden dazwischen.« Mum schüttelte den Kopf angesichts dieser Erinnerung. »Dabei entspann sich mal einer.«
Unsere Tage hatten einen vorhersagbaren Rhythmus bekommen, waren zu angenehmer Gleichförmigkeit geronnen. Morgens weckte uns das rhythmische Scharren des Besens, den der Gärtner über die sandigen Gehwege trieb, und der Ruf der Mynahstare. Die Nachmittage brachten Kamele, die den Strand heraufgeschwankt kamen, und hitzedumpfe Siestas unter den Sonnenschirmen am Swimmingpool. An den Abenden gingen über dem Indischen Ozean langsam die Sterne auf, die Zweige der Guianakastanien schlugen im Wind gegen die Fenster, und ein dichter Friede legte sich über das Hotel. In der Luft lag ein schwerer Duft nach Roten Frangipani, tropischen Lilien und Gardenien. »Alles hat sich verändert, überall«, sagte Mum. »Aber ein paar Dinge sind noch wie früher. Wunderbare Menschen, herrliche Gärten, aufregende Märkte, köstliche Gewürze und so unendlich viel mehr Sinn für die Vergangenheit, so viel mehr Kultur und Vielfalt, als ich irgendwo sonst in Afrika erlebt habe. Oh ja, ich werde immer ein Kind Kenias bleiben, mein Leben lang.«
Nach dem Abendessen verwandelten Mum, Dad, Tante Glug und Onkel Sandy das Hotelrestaurant in einen Tanzsaal. An den meisten Abenden schienen wir ab zehn oder elf die einzigen noch wachen Menschen am ganzen Strand zu sein, also verlegten wir unsere kleine Party hinaus in den Sand. So, wie Mum und Dad zusammen im Mondschein tanzten, mussten sie in ihren Zwanzigern ausgesehen haben: schön, optimistisch, überzeugt davon, das aufregendste Paar zu sein, das die Welt je gesehen hatte.
Der Barkeeper legte Doris Day auf, und Mum wiegte sich in Dads Armen, »Gonna take a sentimental journey«, sangen Mum und Doris im Duett, »gonna set my heart at ease.« Als meine Eltern nah an der Bar vorbeitanzten, konnte ich ihr Parfüm und seinen Pfeifentabak riechen. »Gonna make a sentimental journey, to renew old memories.« Mum ließ sich kurz an Dads Schulter zurücksinken, bevor sie wieder in den Schatten hinauswirbelten. Trotz der fast völligen Dunkelheit erkannte ich die Tränen, die Mums Augen füllten. »Got my bag, got my reservations«, sang sie weiter, »spent each dime I could afford … Gotta take that sentimental journey, sentimental journey home.«
Ich drehte mich wieder um zur Bar und seufzte. »Na los, Rüsselkäfernichte«, sagte Tante Glug und schob mir einen klebrigen Drink herüber. »So einer kann jetzt nicht schaden.«
Nicola Huntingford, der Afrikaander und das beste Pferd aller Zeiten
Ca. 1957
Mum auf Violet, Kenia, ca. 1958
Manchmal trickst einen das Gedächtnis aus und packt Ereignisse zusammen, verschmilzt sie miteinander, damit man leichter auf sie zurückgreifen kann. So ist es gekommen, dass Mum von dem Zirkus, der Mitte der fünfziger Jahre in Eldoret gastierte, nur noch eins in
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