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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Erinnerung hat: dass Nane mit ihm fortgegangen ist. »Anscheinend fand meine Mutter, dass er mich oft genug abgeworfen hatte«, sagt sie, »also ging er als Löwenfutter mit.« Mum schluckt leise. »Und ich weiß nicht, ob es Einbildung ist oder tatsächlich so war, aber in meinem Kopf habe ich ein Bild von Nane hinter Gitterstäben, wie er die Landstraße entlangrumpelt und mich aus großen, flehenden Augen anschaut.«
    »Ach, wie furchtbar«, sage ich.
    Mum denkt einen Augenblick darüber nach. »Ja, das war es auch«, sagt sie. Und als sie etwas verlegen schaut, weiß ich, dass sie nicht wie ein verflucht undankbarer Christopher Robin erscheinen will. Sie räuspert sich und korrigiert ihre Geschichte, versteift zu diesem Zweck ihre Oberlippe. »Na ja«, sagt sie, »meine Eltern haben mir damals bestimmt nicht erzählt, dass er als Löwenfutter mitfährt. Sie werden gesagt haben, Nane hätte zum Zirkus gehen wollen. Trapezkünstler, Tanzbären, jede Menge Spaß.«
    Meine Großeltern fragten gut informierte Freunde nach einem guten Ersatz für Nane. Dabei dürften sie an einen Vollblüter gedacht haben, einen rotzfrechen mit viel Mut, der zu Mums Tollkühnheit und Talent auf dem Parcours passte. Golden Duckling, das Pferd, das die Freunde aussuchten, hatte mit King Midas und Cold Duck ausgezeichnete Erzeuger. »Sie war ein großes kräftiges Vollblut«, sagt Mum, »schöner Kopf, eleganter Hals, vollendet gebaut, solange man nicht auf die Beine schaute.« Mum steigert den dramatischen Effekt mit einer Pause. »Die waren abgesägt.«
    Ich mache ein angemessen entsetztes Gesicht.
    »Ja«, sagt Mum. »Wir standen vor dem Stall in Nairobi, starrten auf dieses Pferd und waren einfach zu höflich, unseren Freunden, die sich Experten schimpften, klarzumachen, dass sie einen Blindgänger ausgewählt hatten. Abgesägte Beine und krumme Sprunggelenke« – Mum biegt pantomimisch die Ellenbogen nach außen –, »das hieß, sie käme über kein Hindernis. Ach ja«, fügt sie hinzu, »und absolut niederträchtig war sie auch.«
    Trotzdem zahlte Mum – von ihren Eltern dazu erzogen, sich über nichts zu beschweren – brav vierzig Pfund von ihrem eigenen Geld für das Pferd (auch nach über einem halben Jahrhundert erinnert sie sich mit unverminderter Verbitterung an die exakte Summe), und die Kreatur wurde auf der Ladefläche eines Trucks nach Hause geschafft. »Ja, Duckling war nicht ideal«, räumt Mum ein. »Sie war sogar ziemlich furchtbar, aber ich hatte nur sie.« Also nahm Mum wie zuvor an Springturnieren teil und trug wie zuvor maßgeblich zur allgemeinen Erheiterung bei. »Meistens verließ ich den Platz bewusstlos, auf eine Bahre geschnallt und blutüberströmt«, sagt sie mit seligem Lächeln.
    Für ein, zwei Jahre schlug dieses mörderische, abgesägte Vollblut meine Mum Woche für Woche k.o., doch Mum zog sich unverzagt wieder auf die Kreatur hinauf und steckte den nächsten Schlag ein.
    Dann endlich brachte eine Reihe beinahe biblisch anmutender Ereignisse – beginnend mit dem Jahr, in dem sie dreizehn wurde – ihr Violet, ein derart makelloses Tier, dass ihm keines ihrer bisherigen Pferde auch nur annähernd das Wasser reichen konnte.
    »1957 hatten wir ein entsetzliches Hochwasser in Eldoret«, sagt Mum. »Das Wasser kam die Zufahrt heruntergerauscht, das Klo war überflutet, Kühe und Pferde standen bis zu den Knien im Schlamm, die Straßen wurden weggespült, auf allen Häusern sogen die Lehmziegel sich voll, die Wände sackten ein, es regnete durchs Dach, die Wäsche wurde nicht mehr trocken, die Frösche zogen ins Haus ein.« Das ging wochenlang so weiter, und als die Sonne sich wieder blicken ließ, waren alle in der Gegend mit den Kräften am Ende und die Masern brachen aus. »Es begann in den Dörfern, dann erkrankten die alten Damen nebenan, in meiner Schule wurden die Hälfte der Schüler und alle Nonnen krank. Als Nächste waren die polnischen Flüchtlinge an der Reihe, bis es schließlich auch meinen Vater erwischte«, sagt Mum.
    Mein Großvater musste monatelang in einem abgedunkelten Zimmer liegen. »Doktor Reynolds verbot ihm das Lesen, aber er hielt sich nicht daran und ruinierte sich für alle Zeiten die Sehkraft.« Meine Großmutter wurde mit der Pflege der Kranken auf Trab gehalten. Sie brachte Fleisch und Milch in die Dörfer der Nandi, sie schaffte Suppe und Brot hinauf zu den alten Damen. Sie besuchte die kranken Internatsschüler und versorgte die Nonnen mit frischer Bettwäsche. Sie

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