Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
fütterte die polnischen Flüchtlinge. »Aus irgendeinem Grund wimmelte es in Eldoret von denen«, sagt Mum, »und alle behaupteten, Prinzessinnen oder Grafen zu sein. Ziemlich unwahrscheinlich, würde ich sagen.« Und wenn sie am Abend zurückkam, musste sie den Ausschlag meines Großvaters mit Kieselzinkerzlösung auswaschen und ihm Abendessen machen.
In diesen anstrengenden und zerrissenen Wochen stand eines Morgens Flip Prinsloo vor der Haustür der Huntingfords, die Krempe seines schweißfleckigen Filzhuts mit beiden Händen umklammert, und wollte mit Mrs. Huntingford sprechen. Meine Großmutter gab bei der versoffenen Cherito Tee in Auftrag und setzte sich mit Flip auf die Veranda. Es ist bezeichnend für meine Großmutter – und natürlich auch für Flip –, dass sie in kameradschaftlichem Schweigen dasaßen, bis das Tablett mit dem Tee kam. Und nicht minder bezeichnend ist es für Flips Verzweiflung, dass er ausgerechnet eine Britin um Hilfe anging. »Weißt du«, sagt Mum, »in Eldoret gab es eine große Gruppe britischer Siedler wie unsere Familie. Und es gab eine gar nicht so kleine Gruppe afrikaanser Siedler wie Flip Prinsloo. Diese beiden Gruppen vermischten sich natürlich nicht.« Mums Augen werden schmal. »Der Burenkrieg«, sagt sie ominös. »Vergiss niemals den Burenkrieg, Bobo. Die vergessen ihn auch nicht.«
Die Holländer landeten 1652 am Kap der Guten Hoffnung, der äußersten Südspitze des afrikanischen Kontinents. Zunächst einmal verstanden sie sich nicht als Siedler, sondern als Arbeiter auf Zeit mit der Aufgabe, dort für die Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die zwischen Holland und Indonesien segelten, Gemüse anzupflanzen. Aber im frühen 18. Jahrhundert trennten sich unabhängige Trekboers – nomadische Bauern – von der Ostindien-Kompanie und drängten in die wilden, nach Pfeffer duftenden Länder im Norden. Dort vertrieben sie die eingeborenen Khoikhoi. Mit der Zeit begannen diese Trekboers sich Afrikaander (Afrikaner) zu nennen. Damit wollten sie zum Ausdruck bringen, dass sie eine eigenständige Identität besaßen, die sich von den Holländern unterschied. Sie entwickelten auch eine eigene Sprache – Afrikaans –, ein mit Elementen der verschiedensten um das Kap herum gesprochenen Dialekte angereichertes Basisholländisch.
1795 schickten die Briten, die ihre Seewege schützen mussten und durch die imperialistischen Bestrebungen anderer europäischer Länder beunruhigt waren, ein Expeditionskorps ans Kap, das die Holländer schnell zur Räson brachte. Aber sie hatten den wachsenden Zusammenhalt und die nationalistischen Bestrebungen der Afrikaander unterschätzt oder nicht erkannt. Mitte der 1830er-Jahre waren die Afrikaander der Bevormundung durch die britische Herrschaft so überdrüssig (das Fass zum Überlaufen brachte die gesellschaftliche Gleichstellung der Sklaven), dass etwa zwölftausend von ihnen tief in das Innere des Kontinents zogen – später sprach man vom Großen Treck – und dort ihre eigenen, von Afrikaandern geführten Republiken gründeten, den Oranje-Freistaat und Transvaal.
Der Krieg ist Afrikas immerreife Frucht. Es gibt so viel Unrecht, das nach Sühne schreit, ein solches Verlangen nach Rache im Blut der Völker, so viel Korruption bei den Machthabenden, einen solch rücksichtslosen Wettlauf um die natürlichen Ressourcen. Die Verhältnisse ändern sich, der Wind dreht sich. Wieder fällt die Frucht zu Boden, und jeder neue Krieg erfindet noch grausamere Schrecklichkeiten als der vorhergehende. 1880 konfiszierten die Briten den Wagen eines Buren, weil der Mann keine Steuern entrichtet hatte. Dieser geringe Anlass reichte den Buren aus, um Britannien den Krieg zu erklären. Nach einem Jahr waren die Briten besiegt. Die Afrikaander sprachen von ihrem Ersten Unabhängigkeitskrieg, die Briten vom Ersten Burenkrieg.
Aber 1886 lockte der Goldrausch noch mehr Briten in die burischen Republiken. Die Afrikaander, die nicht gewillt waren, ihre Ressentiments zu vergessen, verweigerten den Briten das Wahlrecht. Als 1890 mehr Briten als Afrikaander in den Republiken lebten, wurde den Briten das Wahlrecht noch immer verweigert. Das führte im Oktober 1899 zum Ausbruch des Zweiten Englisch-Burischen Krieges oder – wie ihn die Afrikaander nannten – des Zweiten Unabhängigkeitskriegs. Diesmal gingen die Briten kein Risiko ein. Vierhundertfünfzigtausend Soldaten wurden aus Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada nach Südafrika
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