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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Vlei – Zuckersumpf –, und tags darauf zogen sie den Wagen aus dem Schlamm und setzten ihre Reise zum Sosiani River fort.
    »Damals gab es einen Jäger namens Cecil Hoey«, sagt Mum, »der ganz am Ende des Ortes wohnte, aus dem später Eldoret wurde. Zuerst meinte er eine lange Rauchspirale zu sehen, die sich den steilen Anstieg hinauf auf das Hochland zuschlängelte, bis er das bleiche Segeltuch der Planwagen erkannte, die sich auf das Plateau quälten. Die Trekker hatten ihr Ziel erreicht.« Mum fügt hinzu: »Cecil warf einen Blick auf den Haufen und prophezeite den Untergang der Tierwelt. Er sollte Recht behalten, denn als die Afrikaander hier ankamen, hatten sie nur das zum Leben, was sich töten ließ, und sie machten den Tieren im Handumdrehen den Garaus.«
    Die Afrikaander bauten Eggen aus Ästen und Dornen, die sie mit Riemen aus Zebrahaut verschnürten, kochten Seife aus Antilopenfett und nähten sich Schuhe aus Giraffenfellen. Sie aßen, was sich mit Schlingen fangen oder schießen ließ, und wohnten in grasgedeckten Häusern, gemauert aus selbstgeformten, unter der hochstehenden Sonne gebackenen Lehmziegeln. »Viele von ihnen waren sehr einfache Leute«, sagt Mum. »Ohne Ausbildung und zum Lesen nichts als die Bibel. Aber zäh und erfinderisch waren sie und verstanden es, von nichts zu leben.« Dann schnieft sie, und ich weiß, das folgende Eingeständnis macht sie schweren Herzens. »Na ja, das traf für den Großteil von ihnen zu. Aber ein paar vornehmere waren auch dabei. Eine Familie war sogar so vornehm, dass die Königinmutter sie besuchte, als sie 1959 nach Kenia kam.« Mum gibt mir Zeit, diese ungeheuerliche Tatsache zu verdauen. Dann fährt sie fort: »Stell dir das vor. Nie und nimmer wäre unser schäbiges kleines Haus gut genug für königliche Gäste gewesen, aber die – diese piekfeinen Afrikaander – durften die Königinmutter bewirten!«
    Endlich kam Cherito mit einem Teetablett und einer Flasche von Großmutters selbstgemachtem Wein auf die Veranda geschlurft.
    »Danke«, sagte meine Großmutter.
    Cherito stolperte zurück in die Küche. Die Hand meiner Großmutter verharrte über dem Tablett. »Tee, Mr. Prinsloo?«, fragte sie ihn. »Oder lieber etwas Stärkeres?«
    Flip blinzelte.
    Meine Großmutter schenkte ihnen beiden ein Glas Wein ein. »Zuerst brennt er ein bisschen«, warnte sie ihn, »aber wenn man sich daran gewöhnt hat, ist er gar nicht übel.« Sie trank einen Schluck. »Auf uns.« Sie hob das Glas. »Uns gibt’s nicht zweimal, und wenn doch, sind sie längst gestorben.«
    Flip trank einen Schluck.
    »Na, was sagen Sie?«, wollte meine Großmutter wissen.
    Er konnte nicht antworten, weil die Lippen ihm an den Zähnen kleben blieben.
    »Nicht schlecht, oder?« Meine Großmutter schenkte sich das Glas noch mal voll. »Prost!«, rief sie. Das zweite Glas schmeckte besser als das erste, und um die Theorie zu stützen, dass das dritte deshalb besser als das zweite schmecken musste, gönnte meine Großmutter sich noch eins. »Auf alle, die nicht bei uns sein können!«, rief sie. Und so kam es, dass sie relativ aufgeschlossener Stimmung war, als Flip schließlich auf den Grund seines Besuchs zu sprechen kam.
    »Ich habe Ihre Tochter reiten sehen«, sagte Flip unvermittelt.
    Meine Großmutter sah ihn aus schmalen Augen an. »Tatsächlich?«
    »Mir gefällt ihr Stil«, sagte er. »Sehr temperamentvoll.«
    »Na ja, wie man’s nimmt«, sagte meine Großmutter.
    Es entstand eine längere Pause. Flip räusperte sich. »Bald ist wieder Dingaans Tag«, sagte er.
    Jedes Jahr am 16. Dezember feierten alle Afrikaander überall den Dingaans Tag. Das wichtigste Datum in ihrem Kalender erinnert an eine Schlacht im Jahr 1838, in der eine Kolonne von Voortrekkern an den Ufern eines Flusses im heutigen KwaZulu-Natal die Krieger des Zulukönigs Dingaan besiegte. Die Zulu nennen die Schlacht iMpi yaseNcome, die Schlacht am Ncome-Fluss. Auf Afrikaans heißt sie die Slag van Bloedrivier , die Schlacht am Blutfluss. Aber wie man sie auch nennt, das Ergebnis bleibt dasselbe. An jenem Tag – an dem eigentlich alles, was man sich nur vorstellen kann, gegen sie sprach – rieben vierhundertsiebzig Voortrekkers Zehntausende von Zulu-Kriegern auf. Bei Einbruch der Dunkelheit war der Ncome-Fluss rot vom Blut dreitausend getöteter Zulu. Kein einziger Afrikaander verlor in der Schlacht sein Leben, nur drei wurden verwundet. Für die Afrikaander war es der Beweis, dass ihr Stamm ein göttliches Recht

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