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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Tage beginnen noch mit einer Reminiszenz an die Kühle, aber schon mittags flirren Wellen sengender Hitze über den Boden. Mum schaut zum Fenster hinaus; ich sehe ihr an, dass sie die Zitronenfarmen, die wie Edelsteine längs der sandigen Ufer des Olifants River aufgereiht sind, nicht richtig zur Kenntnis nimmt und auch nicht die asche- und purpurfarbene Fynbosvegetation, mit der hier die kargen Bergflanken überzogen sind. In Gedanken ist Mum noch in Eldoret, in einem stickigen, verrauchten Kino Anfang der fünfziger Jahre.
    »Und die Nationalhymne durfte natürlich nicht fehlen«, sagt Mum träumerisch und legt eine Hand übers Herz. »Vor jedem Film wurde ›God Save the King‹ gespielt – oder ›the Queen‹, je nachdem, wer gerade dran war –, und wir mussten ehrfürchtig von unseren Sitzen aufspringen, God save our gracious Queen, long live our noble Queen. God save the Queen!« Mum singt leise: »La la la la! Send her victorious, happy and glorious, Tra la la la la laaa la la! God save the Queen.«
    Wieder mit ihrer Sprechstimme sagt sie nicht ohne Stolz: »Wusstest du, dass Prinzessin Elizabeth in Kenia war, als ihr Vater starb?«
    »Ja«, antworte ich.
    »Wirklich?«, sagt Mum, als bezweifele sie, dass dieser traumhaft imperialistische Umstand mir tatsächlich bekannt sein kann. »Na gut, jedenfalls hielten sie und Phil sich im Februar 1952 gerade in der Treetops Lodge in Aberdares auf.« Mum bekommt feuchte Augen. »Und Elizabeth ist als Prinzessin in ihr Zimmer hinaufgegangen, heißt es, und als Königin wieder heruntergekommen wie im Märchen. Wir alle fanden es sehr bedeutsam und waren ausgesprochen stolz darauf, dass sie den Thron in Kenia bestiegen hat.«
    Mum spricht den Namen mit dem gedehnten E der Kolonialzeit – Keen-ya (/ki nja/), als wäre der Globus noch immer zu einem guten Viertel rosa eingefärbt vom Herrschaftsbereich Großbritanniens. Ich dagegen spreche es mit einem postkolonialen kurzen E – Kenia (k nja). Es ärgert meine Mutter, wenn ich »Kenja« sage, und sie verbessert mich: »Keen-ja«. Aber dieses Beharren auf der anachronistischen Aussprache verstärkt nur meinen Eindruck, dass sie von einem Fantasieland spricht, das für alle Zeiten auf das Zelluloid einer vergangenen Epoche gebannt ist, in einem Film, in dem sie selbst, das vollkommene Pferd und das perfekte äquatoriale Licht die Hauptrollen spielen. Die Gewalt, die Ungerechtigkeiten, die mit dem Kolonialismus einhergingen, scheinen – in der Lesart meiner Mutter – einem anderen, nie gesehenen Volk in einem anderen, nie gesehenen Film zugestoßen zu sein.
    Und ein bisschen war es ja auch so.
    Irgendwann in den späten 1940er-Jahren rief der Generalrat der verbotenen Kikuyu Central Association zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams auf. Der Protest richtete sich gegen die Annexion kenianischer Gebiete durch die Briten und gegen die kolonialen Arbeitsgesetze, die schwarze Kenianer in ein Feudalsystem zwangen, von dem nur die achtzigtausend weißen Siedler profitierten. »Nein«, sagt Mum ungeduldig. »Nein, nein, nein, du erzählst das ganz falsch. Eldoret ist von niemandem annektiert worden. Dort hat ja keiner gelebt, bevor die Weißen kamen. Den Eingeborenen war es zu kahl und zu windig. Die Nandi lebten in den warmen Wäldern um das Plateau herum. Außerdem waren sie keine Farmer. Sie waren Viehbauern und sehr unabhängige, sehr wilde, sehr gefährliche Krieger.« Mum schweigt kurz. »Insofern sind wir bestens miteinander ausgekommen.« Und dann gibt sie der Überzeugung sehr vieler Siedler Ausdruck. »Das Problem waren nicht die Nandi, die Kikuyu waren so schwierig.«
    Was die Kikuyu selbst Muingi (die Bewegung), Muigwithania (das Übereinkommen) oder Muma wa Uiguano (der Einheitsschwur) nannten, wurde außerhalb ihrer Kreise als Mau-Mau-Krieg bekannt. Möglicherweise war der Name ein Akronym des Swahili-Spruchs »Mzungu Aende Ulya. Mwafrika Apate Uhuru« – »Lass den weißen Mann wieder gehen. Lass die Afrikaner frei sein.« Oder es handelt sich um eine nachlässige Aussprache von »Uma, Uma« – »Haut ab! Haut ab!«.
    Die Mitglieder der Mau-Mau-Bewegung banden sich durch die traditionellen Schwurrituale der Kikuyu aneinander, zu denen angeblich auch Tieropfer, die Verabreichung tierischen und menschlichen Blutes, Kannibalismus und Sodomie gehörten. Sie benutzten die traditionellen Waffen der Kikuyu – Speere, Kurzschwerter, Peitschen aus Flusspferdleder, Macheten mit breiten Klingen – und folterten

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