Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
seinen Tod erinnert. Da könnte sein Grab ebenso gut leer sein. »Man kann verzweifelten Menschen keinen Vorwurf daraus machen«, sagt Dad.
Mum hebt den Kopf, ihre Augen sind hell: »Doch, doch, und ob man das kann«, sagt sie. Sie ist unerbittlich. »Man muss es sogar.«
Mir kommt es so vor, als hätten meine Eltern beide Recht. Ob aus Verzweiflung, Dummheit oder Feindseligkeit, dem Menschen ist die unfehlbare Fähigkeit eigen, die Traditionen der anderen zu missachten, das, was ihnen heilig ist, zu schänden: die verlorenen Palawa-Aborigines auf Waternish Estate, die in der St.-Francis-Höhle eingeschlossenen Macdonalds auf Eigg, die in der Kirche von Trumpan verbrannten MacLeods, die in britischen Konzentrationslagern umgekommenen Buren, Tausende von Kikuyus, die während des Mau-Mau-Krieges ihr Leben verloren, die Familie Rucks, in Kenias White Highlands zu Tode gehackt, Adrians entweihtes Grab. Solange wir nicht lernen, gegenseitig unsere Toten zu ehren, uns zu unseren Morden zu bekennen und uns gegenseitig unsere Taten zu vergeben, wird es keinen Waffenstillstand, keine Würde, keinen Frieden geben.
Vor dem Ende einer weiteren enttäuschenden Regenzeit (der nächsten Dürre) starb Boofy – aufgezehrt von Gin, Zigaretten und Enttäuschungen – an Kehlkopfkrebs. Sie hinterließ ein grausam unvollendetes Leben und wenn schon kein Vermögen, so doch wenigstens den Anschein eines solchen: In der irrigen Annahme, mein Vater hätte nun so viel Geld geerbt, dass er sich einen Anwalt leisten könne, gab Lytton-Brown klein bei. Er stimmte in dem Verfahren, das meine Eltern gegen ihn angestrengt hatten, einem außergerichtlichen Vergleich zu. Meine Eltern legten das Geld auf die Bank – die UDI ließ ihnen kaum eine andere Wahl, rhodesische Dollar durften das Land nicht verlassen –, reisten eine Woche später über die Victoria Falls nach Botswana und schlugen am Chobe River ihre Zelte auf.
»Deine Mutter war sehr tapfer«, sagt Dad zu mir. »Deine Mutter ist eine sehr tapfere Frau.«
Also stelle ich sie mir in Botswana an den Ufern des Chobe vor: Vanessa wirft einen Silberlöffel nach dem anderen in den Fluss, Dad fummelt an seiner Pfeife herum und fängt Fische für das Abendessen, Mum sitzt im Windschatten und mit tränenden Augen am nach Terpentin riechenden Mopane-Lagerfeuer. »Alles in Ordnung, Tub?«
Und Mum setzt ein tapferes Gesicht auf. »Ach, ich hab nur Rauch in die Augen gekriegt.« Und dann singt sie, wie sie es immer getan hat, ein bisschen falsch, aber mit dem unfehlbaren Gespür für den emotional richtigen Ton: »So I smile and say, when a lovely flame dies, smoke get’s in your eyes. Smoke get’s in your eyes.«
Nicola Fuller in England
Van und Bo mit den Großeltern
in Karoi, Rhodesien, ca. 1973
Mum ist zutiefst abergläubisch: Weder geht sie unter einer Leiter hindurch, noch betrachtet sie den Neumond durch ein Fernglas, und verschüttetes Salz wirft sie sich über die linke Schulter. Sie lässt bei Gewittern die Fenster offen und schlägt keine Spinnen tot. Aber als sie sich im Juli 1968 nach England einschifft, verzichtet sie zum allerersten Mal darauf, feierlich die vier Wände ihres Zimmers in Afrika zu berühren. Und anstatt alle Türen hinter sich offen zu lassen, überzeugt sie sich, dass sie fest verschlossen sind. »Ich wollte nicht nach Afrika zurückkommen«, sagt sie. »Nie mehr.«
Und das hat sie auf dem Schiff von Afrika nach England dabei: Vanessa, mich als Fötus (»gezeugt im Victoria Falls Casino Hotel, keinem Fünf-Sterne-Schuppen, fürchte ich«), einen kräftigen Katzenjammer, der auf den großzügigen Service im Zug von Salisbury nach Lourenco Marques zurückzuführen war, ein paar ihrer Lieblingsbücher, zwei Jagdstiche, den Wellington-Bronzeguss und die Le-Creuset-Töpfe.
Die MS Oranje (später in MS Angelina Lauro umbenannt) war das trostloseste Schiff, mit dem Mum je gereist war. »Jede Menge sambische Minenarbeiter und amerikanische Missionare waren an Bord. Nicht gerade ein Quell ausgelassener Heiterkeit.« Aber mehr noch als über die langweilige Gesellschaft dürfte Mum sich darüber geärgert haben, dass jede zweite Frau an Bord das gleiche Kleid trug wie sie, »ein formloses Teil in einem staubigen Beige. Wegen der Sanktionen hatte es in Rhodesien keine anderen gegeben – Ballen auf Ballen gruselig gefärbter Stoffe, alle zu Kleidern verwurstet, die denselben unvorteilhaften Schnitt hatten.«
Mum verzog sich schmollend in ihre Koje, schaute nicht
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