Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
einmal zum Bullauge hinaus, wandte Afrika den Rücken zu, als das Schiff aus dem Hafen lief, und verzichtete auch für den Rest der Reise darauf, mit den anderen Passagieren an Deck zu stürzen, wann immer Land in Sicht war: der schwache grüne Schimmer der kenianischen Küste, das orangerote Hitzeflimmern Somalias und des Sudan. Und als das Schiff durch den Suezkanal gelotst wurde, aß sie weißen Reis und beschwerte sich über den Gestank, von dem ihr schon am Morgen schlecht wurde. Erst als England in Sicht kam, zeigte sie sich wieder an Deck. Sie blickte auf die Insel, die sich aus dem Brodem eines schwülen Sommertags erhob, und versuchte mit aller Gewalt, sich britisch zu fühlen.
Aber es rührte sich nichts.
Als Erstes mieteten meine Eltern von einem Handelsmatrosen eine Haushälfte in Stalybridge, Cheshire. »Doppelverglasung gab es nicht. Man konnte alles, was die Nachbarn taten, sehen, hören und riechen.« Und wann immer meine Eltern versuchten, die schönen langen Sommerabende zu nutzen, wurden sie zum Gespött der Nachbarn.
»Aha, Ihre Lordschaften belieben im Freien zu speisen.« Daraufhin liehen Mum und Dad sich etwas Geld, kauften sich einen aufgegebenen Bauernhof in der Nähe von Glossop in Derbyshire und wohnten dort in der Scheune, weil kein separates Wohnhaus vorhanden war. »Das Dach war undicht, der Wind wehte durch Risse in der Wand, es gab keinen Strom, kein fließendes Wasser und kein Klo«, sagt Mum. »Nur einen Kübel in einem Schuppen hinter dem Haus.« Aber es war nicht weit zum Peak District – »Eine gewisse Weite hatte die Landschaft dort«, sagt Mum – und sie hatten Erde unter den Füßen.
Dad nahm, was er an Arbeit in der Stadt kriegen konnte. Mum züchtete Kaninchen, mästete Hühner, fütterte Schweine, und den halben Liter Guinness täglich zahlte die Krankenkasse. »Ein halber Liter Guinness ist gut für Schwangere, hieß es damals«, sagt Mum.
»Ist das dein Ernst?«
»Natürlich ist das mein Ernst. Es gab sogar einen Werbespruch, der hieß: ›Guinness tut dir gut.‹« Mum seufzt. »Der Schönheit eines Babys aber nicht unbedingt. Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als du schließlich auf der Welt warst. Schwarze Haare, quittengelbe Haut und der miesepetrigste Ausdruck, den man sich bei einem Neugeborenen überhaupt nur vorstellen konnte.« Sie kommt sehr nah an mich heran. »Glaubst du nicht manchmal selbst, dass man dich bei der Geburt vertauscht hat?«
Die Nachricht von meiner Ankunft erreichte meinen Vater früh am Morgen des 29. März 1969. Dad fütterte die Tiere und brachte Vanessa zu einer Nachbarin, deren Mann Kevin ihm gerade eine Autokennzeichen-Prägerei verkaufen wollte. Der Betrieb kam komplett mit einem jähzornigen spanischen Exkriegsgefangenen, der die Schilder prägte und dem Namen des Unternehmens eine gewisse Authentizität verlieh: Continental Car Plates.
»Wo ist Kevin?«, fragte Dad die Frau.
»Im Pub.«
Dad sah auf die Uhr. Kevin stieg schlagartig in seinem Ansehen. »Alle Achtung.«
Dad ging ins Pub und traf seinen Nachbarn bei einem schnellen Nachdurstlöscher vor dem Frühstück, aber als Kevin hörte, dass Mum ein kleines Mädchen zur Welt gebracht hatte, knallte er das Bierglas auf die Theke und rief: »Champagner!« Der Arbeitstag war abgesagt, Freunde wurden zusammengetrommelt, die morgendliche Besuchszeit verstrich ungenutzt. Irgendwann nach Mittag fiel Dad in einem lichten Moment ein, dass er für meine niedergekommene Mum noch nicht einmal ein Geschenk hatte.
»Das fällt dir aber früh ein«, sagte Kevin.
Kevin und mein Vater genehmigten sich noch einen und machten sich auf die Suche nach einem Geschenk.
»Worauf steht Nicola denn so?«, fragte Kevin.
»Hunde«, sagte Dad. »Hunde mag sie tausendmal lieber als die meisten Menschen.«
»Wie wär’s mit einem Welpen?«
Dad rieb sich das Kinn. »Besser nicht«, sagte er. »Darüber vergisst sie glatt das Baby.«
»Auch wahr«, sagte Kevin.
»Und Kultur – sie ist verrückt nach Büchern, Opern, Gemälden und so ’m Zeug.«
Kevin schaute etwas ratlos zum Seitenfenster hinaus. »Ach du Scheiße.«
Dad versank in träumerisches Nachdenken. »Ich glaube, mit einem Drink vor mir auf dem Tisch könnte ich mich viel besser konzentrieren«, sagte er schließlich.
»Geht mir ganz genauso«, sagte Kevin, und schnell machten sie einen Abstecher ins nächste Pub, um weitere Optionen bei einem Brandy zu diskutieren: Ein Pferd wurde als zu groß, ein Teegeschirr als zu gewöhnlich
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