Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
gesenkt, und man riet Mum, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen.
Ein, zwei Tage vergingen. Mum legte auf dem vertrockneten Rasen vor der Hütte Decken aus, in der Hoffnung, die frische Luft und schwache Wintersonne würden dem kleinen Körper des Babys guttun. Am nächsten Morgen war Adrians Temperatur wieder beängstigend angestiegen. Mum tröpfelte ihm Paracetamol in die Kehle und lief zum Haupthaus hinüber. »Natürlich haben mich alle für eine hysterische junge Mutter gehalten. Aber das war ich nicht. Der Winter war so hart, es ging uns schlecht, und Adrian wurde immer kränker.« Mum wickelte den Kleinen in dicke Decken und ließ ihn im Haus. Ein oder zwei Tage lang sah es so aus, als wäre das die Zauberformel für eine Besserung.
War es aber nicht.
Dann hoffte Mum darauf, dass wärmeres Wetter oder Regen die Atmosphäre veränderten und der Staub sich legte. Und wie alle Frauen überall auf der Welt und zu allen Zeiten schaute sie hinauf zum Himmel und flehte das Universum an, etwas zu tun, das ihr Kind wieder gesund machte. Bald darauf wurde die extreme Kälte durch einen warmen trockenen September abgelöst. Der Oktober war heiß und schwül, aber es regnete noch immer nicht, und Adrian kam immer noch nicht zu Kräften.
Ab der dritten Oktoberwoche ballten sich einen Monat lang Regenwolken und Donner vor dem Hochveldt zusammen, doch als Regen fiel, blieb er wie ein Vorhang in der Luft hängen, ohne den Boden zu erreichen. In dieser dritten Woche erwachte Adrian, wie so oft, mit hohem Fieber und weinte, ein leises, monotones Weinen, als fehlte es ihm an Kraft, den spezifischen Charakter seiner Erkrankung auszudrücken. Mum gab ihm Paracetamol, versuchte ihn zu stillen, aber Adrian mochte keine Nahrung, und auch eine doppelte Dosis des Medikaments vermochte das Fieber nicht mehr zu senken. Wieder wickelte Mum ihn in Decken, lief hinüber zum Haupthaus und bat Cherry, sie ins Krankenhaus zu fahren. Auf dem Weg zur Klinik drückte Mum die Lippen auf die flaumigen Haare auf Adrians heißem Schädel und beschwor ihn wortlos: »Bitte gib nicht auf. Gib nicht auf. Du wirst sehen, es wird wieder besser.« Und sie schloss die Augen und versuchte mit aller Kraft, sich Adrian als Zwölf-, Achtzehn-, Dreißigjährigen vorzustellen, als ließe sein Leben sich mit bloßer Willenskraft über die Kindheit hinaus retten. Und sie feilschte mit Gott: Wenn er schon ein Leben fordern musste, dann bitte ihres. »Ich konnte mir nicht vorstellen, noch einen Atemzug zu tun, wenn Adrian tot war«, sagt Mum.
Als Mum mir das erzählt, wird mir klar, dass ich mich an keine Zeit erinnern kann, zu der ich nichts über Adrians Unglück wusste, als wäre das Wissen um ihn mir durch die Plazenta direkt in die Zellen gedrungen. Aber tatsächlich weiß ich wenig darüber, wie es ihm ergangen ist. Als ich jung war, hat Mum sich manchmal über sein Schicksal ausgelassen, doch dann war sie nicht mehr nüchtern, die Geschichte weichte immer mehr auf, wurde verwirrender, ergab keinen Sinn. An diesem heißen späten Vormittag in Cederberg bin ich vierzig, wir sind nüchtern, und Mums Erzählung ist schonungslos klar. Und obwohl ich die Einzelheiten der Geschichte zum ersten Mal erfahre, weiß ich, wie sie ausgeht. Mein erster Impuls ist zwecklos: Ich möchte die Jahre überbrücken und meine jungen Eltern vor dem bewahren, was als Nächstes passieren wird.
An jenem heißen Nachmittag bekam Dad in der Nickelmine eine Nachricht von Mum. Er eilte zurück nach Hause, und sie erwartete ihn schon in der Einfahrt, Vanessa auf dem Arm. So schnell der Chevy es zuließ, fuhren meine Eltern nach Bindura, aber Adrian war nicht mehr in der kleinen Klinik. Man hatte ihn im Krankenwagen in die Kinderklinik nach Salisbury gebracht. Ich stelle mir meine Eltern vor, wie sie in die Stadt gerast sind, Mum bleich und mager mit dreiundzwanzig, Vanessa auf dem Schoß, Dad hilflos und unvorbereitet mit siebenundzwanzig. Beide halb verrückt vor Verzweiflung.
Adrian lag in keinem der Betten des Krankensaals, und es dauerte eine Weile, bis meine Eltern ihn gefunden hatten, isoliert in einer weißen Zelle am Ende der Privatstation. »Er war auf ein Brett geschnallt, die kleinen Ärmchen fixiert wie an einem Kruzifix, Infusionsschläuche kamen aus seinem Kopf.« Mum spricht so leise, dass ich sie kaum verstehe. »Und er weinte, immer noch dieses trockene, leise monotone Weinen.« Vanessa tat, in Vorahnung der drohenden Tragödie, das Einzige, was ihr in dieser Situation
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