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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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einem M dazwischen und einem N am Ende. Wenn wir » nice « sagten, zogen wir das I in die Länge, als würden wir breit lächeln. Wir retteten mehrere Hunde. Wir bekamen noch ein Pferd geschenkt. Vanessa wurde auf das Internat in Umtali geschickt. (»Sie tut nur so, als könnte sie nicht lesen«, sagte Mum zu der Lehrerin, »in Wirklichkeit kennt sie den halben Shakespeare auswendig.«)
    Ich bekam Fernunterricht zu Hause, der Schwerpunkt lag auf dem, was meine Mutter unter der heiligen Kunst des Geschichtenerzählens verstand, und nach dem Mittagessen, bevor wir beide in der betäubenden Nachmittagshitze einschliefen, las Mum mir vor: Das Dschungelbuch , Winnie-the-Pooh , Der Wind in den Weiden . An den kühlen Abenden saß Mum mit der Teetasse auf dem Schoß da, die Augen halb geschlossen. »Geschichte der Woche«, befahl sie. Und ich erzählte: »Diese Woche ritt ich auf meinem einäugigen Pferd durch den Fluss.«
    »Hm.« Mum lächelte. » Platschte ist besser als ritt , findest du nicht? Ich platschte auf meinem einäugigen Pferd durch den Fluss, und die Hunde schlappten um uns herum . … Wie hört sich das an?«
    Im schwülen Monat November des Jahres 1975 wurde Mum plötzlich von einer wohlbekannten Übelkeit heimgesucht. Im August des folgenden Jahres war sie hochschwanger. »Noch ein, zwei Wochen, denke ich«, sagte Doktor Mitchell und zog die Stirn in Falten. »Und in diesem Zustand wollen Sie auf Ihrer Farm bleiben? Sie sind da draußen nicht sicher.« Und wie aufs Stichwort eskalierte der Krieg. In der Nacht des 11. August 1976 führte die mosambikanische Armee einen unerwarteten Granatwerferangriff gegen die südlichen Vororte Umbalis. Vanessa wurde in ihrem Internat zusammen mit den anderen Mädchen in den Keller getrieben, wo man sie auf den Betonfußboden stieß und Matratzen über sie warf. Das Ganze geschah so schnell, dass manche von ihnen danach Prellungen hatten. Als meine Schwester am Wochenende nach Hause kam, bewunderte ich ihre aufgestoßenen Knie, die Beule auf ihrer Stirn und bombardierte sie mit Fragen. Hast du Angst gehabt? Hast du Tote zu sehen gekriegt? Oder sogar einen Terroristen? Aber Vanessa sah nur tödlich gelangweilt drein, um jegliche Diskussion im Keim zu ersticken, und Mum sagte: »Hör auf, ihr Löcher in den Bauch zu fragen, Bobo. Es ist vorbei, oder?«
    Die rhodesische Regierung verteilte Tausende vorformulierter Luftpostbriefe an weiße Familien, die sie an Freunde und Angehörige im Ausland schicken mussten. So steif die Behördensprache auch war, spiegelte sie doch exakt unsere innere Verleugnung. »Zweifellos seid ihr besorgt über die Situation in Rhodesien, besonders in Anbetracht der sensationellen Schlagzeilen und erschreckenden Artikel in der internationalen Presse«, begann der Brief. »Was der Großteil der Weltpresse nicht drucken will, sind die wahren Fakten über Rhodesien. Dass unser Land nämlich allen Sanktionen und Boykotten zum Trotz die letzten zehn Jahre gut überstanden hat, was Produktivität, Wachstum und Rassenfrieden betrifft.«
    In den Tagen nach der angeblichen Versendung von fünfzehntausend dieser Briefe mehrten sich Überfälle auf weiße rhodesische Farmer und Regierungstruppen, und die Angriffe der Artillerie wurden gefährlicher, und man konnte beim besten Willen nicht mehr von kleinen Scharmützeln im Busch sprechen. Doktor Mitchell ließ nicht locker. »Nicola, kommen Sie in die Stadt, um Himmels willen«, beschwor er Mum. »Und dort bleiben Sie, bis das Kind auf der Welt ist.«
    »Aber ihr habt doch auch Granatenbeschuss«, widersprach Mum.
    »Ja, aber wir haben wenigstens ein Krankenhaus.«
    Und weil Dad noch oben in den Himalaya Hills kämpfte, zogen Mum und ich in die Stadt, kamen bei Freunden unter und warteten und warteten auf die Ankunft des Babys. »Ich hätte mich zu Tode gelangweilt«, sagt Mum, »aber zum Glück war die Rocky Horror Picture Show endlich auch ins Rainbow Theatre gekommen, und ich bin mindestens dreimal reingegangen.« Am 28. August kam Olivia Jane Fuller im Umtali General Hospital zur Welt – dunkle Locken, volle Garrard-Lippen und Augen vom seltsamsten Blauviolett, das man sich vorstellen konnte. Die Krankenschwestern wurden von allen Stationen zusammengerufen, damit sie sich Olivias Augen anschauten, und man trug sie an die Betten der verwundeten Kämpfer, um sie ihnen zu zeigen. In diesem auf einmal sehr blutigen Krieg erschien Olivias Schönheit beinahe wie etwas Unwirkliches, Erlösendes.
    Vom Fenster

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