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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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weiße Störche und schwarze Abdimstörche kehren aus ihrem europäischen Urlaub zurück. Wenn Mum also sagt: »Es muss im November auf Robandi gewesen sein«, habe ich all diese hoffnungsvollen Dinge vor Augen, aber ich denke auch an die ewige Hoffnungslosigkeit auf der Farm und daran, dass man dem Gewinn immer mindestens eine Regenzeit hinterherhinkte.
    »Ja, es muss im November gewesen sein«, sagt Mum. »Und es war heiß, schwülheiß, deshalb beschloss ich, Olivia für etwa eine Stunde bei Violet im Haus zu lassen. Dad wollte mir bei den Saatbeeten etwas zeigen.« Mum schaut auf ihre abgearbeiteten Hände. »Ich hatte eine Menge um die Ohren mit der Farm, weißt du.« Und ich stelle mir meine Mum von damals vor, mit hochgesteckten Haaren in den Tabakfeldern oder schweißtriefend vor dem After einer kalbenden Kuh oder beim Ritt über das Hundezahngras, die dreieinhalb Kilo schwere Uzi quer vor der Brust, deren kurzer Lauf runde Abdrücke in den Sattelknauf prägte. »Wenn Dad im Kampfeinsatz war, musste ich den Laden ganz allein schmeißen«, sagt sie.
    Im November 1977 war Dad siebenunddreißig, aber so ein Krieg kostet Männer und Geld, also erhöhte die rhodesische Regierung Jahr für Jahr die Steuern und setzte das Wehrpflichtsalter herauf – alle weißen Männer unter sechzig Jahren konnten einberufen werden, jüngere weiße Männer leisteten in Abständen von sechs Wochen fünfundzwanzig oder dreißig Wochen jährlich Dienst bei der Armee ab. Mum tippt die Finger beider Hände ab, ihre Lippen bewegen sich beim Zählen. »Ich glaube, Dad war vierzig, als der Krieg zu Ende war. Vierzig, aber fit wie ein Turnschuh, oder, Tim?«
    »Die Schnauze voll hatte ich«, sagt Dad.
    »Sicher, aber total durchtrainiert warst du«, sagt Mum.
    Die Tabaksaatbeete lagen am anderen Ende der Farm, sieben, acht Kilometer vom Haus entfernt. Ich kann sie noch vor mir sehen: lange Reihen von Beeten am Rand eines Ackers, ein Stück oberhalb des Abflussgrabens, der die Farm in zwei Hälften teilte, abgedeckt mit schwarzer Folie. Die Erde war dort hell, etwas sandig. Der Msasa-Wald um den Acker herum wurde von Pavianen bewohnt, die an den Abenden ins Freie herauskamen. Hin und wieder war auch mal eine Ducker-Antilope aus den Himalaya Hills heruntergekommen oder ein Buschbock, ein-, zweimal sogar ein Leopard. Weshalb Mum auch nicht gleich beunruhigt war, als sie aus den Augenwinkeln Bewegung unter den Bäumen wahrnahm. »Ich hab es zuerst für ein Tier gehalten«, sagt sie.
    Aber dann trat, was sich dort bewegt hatte, aus dem Schatten heraus in den hellen Sonnenschein, und es waren zwei Männer in den Uniformen der FRELIMO -Kämpfer. »Zwei Terroristen«, sagt meine Mutter, »total abgerissen und verzweifelt sahen sie aus. Beide hatten sie ein AK47 geschultert, ihre Gürtel hingen voller Handgranaten. Der eine humpelte stark.« Mum schüttelt den Kopf. »Ich war kurz vorm Ausrasten. Oh Gott, dachte ich, jetzt knallen die uns hier am helllichten Tag ab, und dann gehen sie zum Haus und bringen das Baby um. Wir hatten auf Fotos gesehen, was die Terroristen so machten – verstümmelte und ermordete Kinder. Meine Haut war kalt wie Marmor. Es war schrecklich, oder, Tim?«
    »Ziemlich unerfreulich«, stimmt Dad zu.
    Mum ballt die Faust. »Aber ich sage dir – dein Vater ist absolut cool geblieben. Nicht die Spur von Angst.« Ihre Augen leuchten. »Es heißt immer, man kann einen Mann danach beurteilen, wie er im Angesicht einer Gewehrmündung reagiert, und ich glaube, da ist viel Wahres dran.«
    Mein Vater sah die beiden Männer auf den Landrover zukommen, der eine kaum noch in der Lage, sein Bein zu belasten. Dad nahm den Revolver vom Gürtel und legte ihn meiner Mutter auf den Schoß. »Setz dich ans Steuer«, sagte er zu ihr. Er zündete sich eine Zigarette an, öffnete langsam die Tür des Landrover und stieg aus. Die beiden Terroristen kamen immer näher, die Hände leicht über die Hüften gehoben. Dad ließ sie keine Sekunde aus den Augen, während er weiter ruhig mit meiner Mutter sprach. »Es passiert schon nichts«, sagte er. »Und wenn doch, dann holst du Olivia und machst, dass du von der Farm wegkommst, und drehst dich nicht um.« Dann ging er, sichtbar unbewaffnet, den Terroristen entgegen.
    Den Revolver in der Hand, rutschte meine Mutter auf den Fahrersitz. »Bitte, lieber Gott«, betete sie leise, »nicht Tim, nicht Tim.« Und dann: »Bitte, lieber Gott, nicht das Baby. Nicht das Baby. Nicht das Baby.« Sie sah Dads

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