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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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ihrer Entbindungsstation sah Mum, wie die Verwundeten von der Front auf staubbedeckten Armeelastern, in Landrovern und Krankenwagen angeliefert wurden (ausschließlich weiße Soldaten; schwarze Soldaten, die für Rhodesien kämpften, kamen in das Krankenhaus für Schwarze, was zeigt, dass man für eine Sache sterben darf, ohne zwangsläufig für sie gerettet zu werden). »Ich sehe die verwundeten Soldaten noch vor mir. Manche waren blutjung, sahen wie Schuljungen aus«, sagt Mum. »Ihre Bürstenschnitte waren so frisch, dass die Sonne noch gar keine Zeit hatte, ihnen die weißen Hälse braun zu brennen.« Mum hörte diese Jungen nach ihren Müttern rufen und wiegte Olivia an der Schulter. »Alles ist gut, meine Kleine«, beruhigte sie das Baby. »Alles ist gut.«
    Als Olivia eine Woche alt war, fuhren wir sie durch das Stammesgebiet der Zamunya nach Hause in unser Tal, eskortiert von einem Konvoi mit Soldaten und Minensuchfahrzeugen. Nachdem sie das Neugeborene gesehen hatten, verrichteten die Soldaten ihren Dienst an dem Tag besonders sorgfältig. »Ihr Trommelfell übersteht keinen Zwischenfall«, sagte der Kommandant des Konvois zu Mum. Er wiegte Olivias flaumigen Kopf in seinen waffenölverschmierten Händen, unerwartet sanft in seiner Tarnuniform mit den Patronengurten und den kriegsmüden Stiefeln. »Ach, Schande«, sagte er verlegen, als hätte seine Zunge alle Zärtlichkeit fast schon vergessen, »ist die süß – und was für Augen.«
    Auch in Robandi war Zärtlichkeit beinahe schon vergessen. Noch immer lagen die blanken Schießeisen auf den Zeitungen im Wohnzimmer, stapelten sich die Säcke gegen Granateinschläge vor den Fenstern, krächzte das Agric-Alert-Funkgerät morgens und abends die neuesten Sicherheitsmeldungen für Farmer: »Oscar Papa zwei-acht, Oscar Papa zwei-acht, hier ist HQ . Wie lest ihr? Ende.« Aber es gab auch den alltäglichen Trost der abgekochten Trinkflaschen in der Küche, der weißen Lätzchen auf der Wäscheleine hinterm Haus; Mum lag bis spät in den Tag im Bett und las, das Baby schlafend an ihrem Hals. Und an den Abenden trug sie – statt die trostlosen Nachrichten über Angriffe und Gegenangriffe anzuhören – das Radio hinaus auf die Veranda, stellte den Oldies-Sender ein und tanzte mit Olivia langsam hinaus in den Garten und um den Frangipani-Baum herum. »Everybody loves my baby«, sang sie. »But my baby don’t love nobody but me.«
    Im Januar 1977 kam ich zu Vanessa auf das Internat in Umtali. »Alles Gute, Bobo«, sagte Mum zu mir. »Sei nett zu deinen Lehrerinnen, hör auf das, was die Hausmütter sagen, und versuch, nicht zu viel Heimweh zu haben.« Sie nahm meinen Dackel hoch. »Jason wird dich schrecklich vermissen.« Sie wedelte mir mit Jasons Pfote zu. »Oder, Jason King?« Olivia blieb zurück mit Mum und Violet, der Kinderfrau. Einmal im Monat holten Mum und Dad uns für ein Wochenende nach Hause. Auf dem Rückweg in unser Tal wurden wir von Schutzfahrzeugen und Minensuchern begleitet. Vanessa und ich stritten die ganze Fahrt darüber, wer Olivia auf den Schoß nehmen durfte.
    »Ich bin älter.«
    »Ja, aber mich mag sie lieber.«
    »Ist gar nicht wahr.«
    »Guck mal, ich kann sie zum Lachen bringen.«
    »Nicht kitzeln, das mag sie nicht.«
    »Wohl mag sie das.«
    »Nein, das mag sie nicht.«
    Bis Mum – die vorne saß und die Uzi zum Fenster hinausstreckte – sich umdrehte und damit drohte, uns beiden eine zu knallen, wenn wir nicht endlich die Klappe hielten und uns um das Baby kümmerten. »Passt ihr auch auf?«, fragte sie, und wir wussten beide, was sie damit meinte. Wir hörten auf zu albern und legten Olivia zwischen uns auf den Sitz, unterhalb des Fensters, damit eine aus einem Hinterhalt abgefeuerte Kugel erst durch die Tür des Landrovers und einen von uns schlagen musste, bevor sie das Baby treffen konnte. Es gab eine ungeschriebene Regel. Sollten wir alle sterben müssen, dann bitte schön in dieser Reihenfolge: Dad, Mum, Vanessa, ich und – unvorstellbar und nur über unser aller Leichen – Olivia.

Olivia
    Nachdem im Oktober die Gewitter der Trockenheit ein Ende gemacht haben, regnet es im November in der Regel jeden Nachmittag, und mit diesen verlässlichen Niederschlägen kehrt die Hoffnung auf ein besseres Jahr zurück. Die Shona nennen ihn Mbudzi, den »Monat der Ziegenfruchtbarkeit«. Die Veldts werden vom Schimmer frischer Vegetation wie mit blassgrünen Flämmchen aufgehellt, der Himmel ist reingewaschen von Holzrauch und Staub,

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