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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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verbrachte die Nachmittage auf den Tabakfeldern, saß abends sorgenvoll über einem Stapel unbezahlter Rechnungen.
    Sie wurde mager und sehnig, ihre Füße trugen Blasen von den Sandalen, die aus alten Traktorreifen gefertigt waren. An den Händen hatte sie Schwielen und Hornhaut. Was sie anfangs an sanfter Mütterlichkeit besessen hatte – die lächelnde junge Frau im Gingham-Kleid, die eine shakespeare-gesättigte Vanessa auf dem Rasen von Lavender’s Corner auf dem Schoß wiegte –, war so gut wie aufgezehrt. Aber dann, eines Abends im September 1979, stieß Mum sich plötzlich vom Esszimmertisch ab und schlug die Hand vor den Mund, die Augen glasig vor Übelkeit. Sie starrte auf ihren Teller und rief: »Bäh! Wie das riecht!« Mein Vater erkannte die Symptome, legte Messer und Gabel auf den Tisch. »Alles in Ordnung, Tub?«
    Mum hielt einen Finger in die Höhe. »Wird schon wieder.«
    Sie eilte aus dem Zimmer, und Dad sah ihr nach. Er schob seinen Teller von sich, zündete sich eine Zigarette an und stützte den Kopf in beide Hände – der Rauch kräuselte sich durch sein dünner werdendes Haar. Draußen schwirrten noch die Insekten, Mums Milchkühe grölten einen Störer an (vielleicht einen streunenden Hund), und oben aus den Bergen war ein gedämpfter Knall zu hören – etwas oder jemand in der Pufferzone hatte eine Landmine zur Detonation gebracht. Ob es nun der rechte Zeitpunkt war oder nicht, Mum war mal wieder schwanger.
    Es ist eine uralte und törichte List, sich einzureden, ein neues Baby könnte dem Universum seine Unschuld zurückgeben. So als ließe sich mit der trostreichen Routine eines nach Milch duftenden Kinderzimmers verhindern, dass die Welt um einen herum zusammenbricht. Dahinter steht der Wunsch, sich mit der Unschuld eines Neugeborenen von seinen Sünden reinwaschen zu können. Aber unser Land lag gegen Ende 1979 weit jenseits des Wirkungsbereichs kleiner Kinder, wie wunderkräftig sie auch sein mochten. Der Krieg dauerte schon so lange und wurde so verzweifelt geführt, dass er kein Bürgerkrieg mehr war, sondern zu einem Krieg der Zivilisten, einem Kampf Mann gegen Mann, einem tief ins Persönliche reichenden Konflikt ausgeartet war. Das Kampfgebiet hatte sich von der Grenze zu Mosambik über die städtischen Gebiete bis vor unsere Türschwelle ausgeweitet, und wenn uns nicht selbst Blut an den Händen klebte, kannte doch so ziemlich jeder von uns jemanden, der welches an den Händen hatte.
    Die Halbwertzeit unserer Gewalt war inzwischen auf unbestimmte Zeit verlängert: Man war dazu übergegangen, biologische Waffen einzusetzen. Mit Hilfe des südafrikanischen Militärs hatten rhodesische Spezialeinheiten das Wasser entlang der Grenze zu Mosambik mit Cholera und Warfarin verseucht; mit Thallium versetzte Konservendosen waren über den Kampfgebieten abgeworfen worden; Kleidungsstücke wurden mit Organophosphat, einem Pflanzenschutzmittel, getränkt und an Guerillakämpfer und deren Sympathisanten ausgegeben. In den Dörfern hatten sie Anthrax deponiert, und über zehntausend Männer, Frauen und Kinder in den Stammesgebieten waren an nicht selten tödlichen nekrotischen Beulen, Fieber, Herz/Kreislauf- und Atemversagen erkrankt – die größte Anthraxepidemie in der Geschichte der Menschheit.
    All diese Feindseligkeiten setzten sich fort und nahmen sogar noch zu, als die Führer der rhodesischen Regierung und die Führer der Befreiungsstreitkräfte sich bereits im Lancaster House in London gegenübersaßen, um darüber zu streiten, wie der Übergang vom Schurkenstaat zur Mehrheitsregierung – vom Krieg zum Frieden – am besten zu bewerkstelligen sei. Lord Carrington, der britische Außenminister, eröffnete das Treffen ohne Umschweife mit den Worten: »Ich kann nicht verhehlen, dass es für mich und meine Kollegen ein höchst befremdlicher und enttäuschender Umstand ist, dass die Feindseligkeiten während dieser Konferenz andauern …«
    Es hatte schon vorher Friedensverhandlungen gegeben – zum Beispiel 1975 in einem Eisenbahnwaggon auf der Eisenbahnbrücke über die Victoriafälle –, aber der Dialog war jedes Mal abgebrochen worden. So war es beinahe eine Überraschung – für manche allerdings auch ein schrecklicher Schlag –, als am 6. Dezember 1979 nach dreimonatigen zähen Verhandlungen das Lancaster-House-Abkommen von allen zuständigen Führern unterzeichnet wurde. Und es wurde in die Tat umgesetzt. Der Krieg war vorbei. Innerhalb weniger Wochen bekam das Land einen

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