Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
einem anderen Stern.« Binnen weniger Stunden nach dem Anruf hatte Dad über die »Freunde Rhodesiens«, eine Organisation, die weniger bemittelten Rhodesiern bei Notfällen zur Seite stand, ein billiges Flugticket nach England besorgt. In Umtali fand er einen indischen Schneider, der bereit war, über Nacht einen Anzug zu nähen. »Barzahler!«, versprach er. »Ich brauche einen erstklassigen Anzug zum Preis eines drittklassigen.«
Am nächsten Vormittag landete Dad in London. Er warf sich in den neuen Anzug, mietete sich ein Auto und traf zwei Minuten vor Beginn der Trauerfeier in der Kirche ein. »Der absolute Knalleffekt«, sagt Mum. »Da stand Tim, extra aus Afrika eingeflogen, sonnengebräunt und elegant.« Als ehemalige Kolonie und abtrünniges Land sorgte Rhodesien in der internationalen Presse für zahlreiche, alarmierende Schlagzeilen: RHODESIEN – DIE APARTHEID BEWEGT SICH NACH NORDEN ; RHODESIEN VOR DEM AUS ; DAS ARMAGEDDON HAT BEGONNEN . Mein Vater muss seinen Angehörigen erschienen sein wie einer, den man auf dem schwarzen Kontinent verschollen wähnte. »Der Schock hätte nicht größer sein können, wenn Donald sich im Sarg aufgerichtet und einen Gin rosé verlangt hätte«, sagt Mum.
Dad suchte sich einen Platz bei einer der Seitentüren und betrachtete seine Mittrauernden. Ich stelle sie mir so vor: Lady Fuller sitzt in steifem Schweigen in der ersten Reihe, sehr elegant in ihrer Trauerkleidung (ich wusste so wenig von der zweiten Frau meines Großvaters, dass sie für mich nur ein Name war, den ich in Anwaltsbriefen gelesen habe; verschlossen und abgekapselt wie eine Figur aus einem Noel-Coward-Stück); Onkel Toe, blass und ernst in der Bank hinter ihr, in seinem Gefolge ein respektables Aufgebot an Cousins und Cousinen, ein paar Tanten, ein, zwei Onkel, die Reihe gestandener Kameraden von der Marine und ganz hinten der Schweineknecht meines Großvaters.
Nach den obligatorischen Begrüßungen des Vikars mussten sich alle erheben und »The Day Thou Gavest, Lord, Is Ended / Das Licht des Tages ist zerronnen« singen. Dann erklomm ein ranghoher Marineoffizier die Kanzel und ließ sich wortgewandt über die Laufbahn Captain Connell-Fullers aus (seine Ausführungen geschickt um den wunden Punkt herumnavigierend, dass er nie den ersehnten Rang eines Admirals oder gar Konteradmirals erlangt hatte). Dann erhob sich einer der älteren Angehörigen und erzählte von Donalds Begeisterung für den Polosport, die nach der Pensionierung entdeckte Leidenschaft für die Schweinezucht (die der Schweineknecht mit einem leisen unglücklichen Schnaufen kommentierte) und von der Zeit, als er in Douthwaite eine alte Eiche wegsprengte, weil sie seinem Golfabschlag im Weg stand (allgemeines Gekicher). Dann wurde die Gemeinde gebeten, sich für den Schlusschoral zu erheben: »Eternal Father, Strong to Save.«
Anschließend trug man den Sarg des alten Mannes aus der Kirche heraus, ließ ihn in die frisch ausgehobene Grube hinab, und als die ersten Klumpen feuchter englischer Erde auf den hölzernen Deckel prasselten, war das eine Art Startschuss für den Streit zwischen den Erben, der sich über anderthalb Generationen hinziehen sollte, bis praktisch nichts mehr geblieben war, um das zu streiten sich lohnte. Meine Mutter schließt die Augen und schüttelt den Kopf. »Wie du weißt, gab es ein paar – sagen wir – Probleme mit dem Testament.« Aber Mum will nicht näher darauf eingehen. Sie wedelt mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Schnee von gestern«, sagt sie. »Es bringt ja nichts, es immer wieder aufzuwühlen, oder?«
Unser Schicksal war also unweigerlich mit Rhodesien verknüpft, und selbst zu einem derart späten Zeitpunkt kämpften wir weiter für dieses Land, als wäre es der letzte Ort auf Erden, den wir nicht verlieren durften, ohne uns selber zu verlieren. Und das Leben – das Leben, das uns geblieben war – ging in all seiner zunehmend surrealen Unmöglichkeit weiter. Vanessa und ich besuchten weiter unsere rassengetrennte Staatsschule und beteten bei der Andacht jeden Morgen mit nicht nachlassender Konzentration und Inbrunst für unsere Väter, Brüder, Jungs und Männer. Dad verschwand weiter alle sechs Wochen in den Himalaya Hills und kämpfte gegen Guerilla-Verbände, kam erschöpft wieder nach Hause, die rechte Schulter gebeugt wie ein gebrochener Flügel von der permanenten Last des FN -Gewehrs. Und Mum verrichtete weiterhin die Arbeit auf der Farm: schaute vormittags zu Pferde nach dem Vieh,
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