Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
allem, was sie dort verloren hatte, wie eine dunkle Wolke über ihrem Leben geschwebt. Robandi bildet heute noch den Hintergrund meiner Alpträume: die braunen Streifen an den weißgetünchten Scheunen, weil das Wellblechdach darüber rostzerfressen war; der Geruch nach säuerlichem Atem in den Werkstätten, das Waffenöl, das klebrig-zäh an den Fingern haften blieb. Zu viel für eine Sitzung stürmt auf mich ein, wenn ich den Deckel zurückklappe, mit dem meine Erinnerungen an die Farm verschlossen sind – kein bloßes Stück Land kann für all dies verantwortlich sein.
Die Umrisse von Robandi waren im Wesentlichen erhalten geblieben, auch wenn an keiner Stelle mehr die ums Überleben kämpfende Farm zu erkennen war, die meine Eltern während des Kriegs verwaltet hatten. Noch immer führte die Flammenbaumallee von der Straße nach Mazonwe herauf zu dem apricotrosa Haus, aber die Straße war fortgespült. Die Zäune waren zusammengebrochen, statt Nutzpflanzen und Vieh machte wildes Buschwerk sich breit. Wo Mums ordentliche, strohgedeckte Milchkammer gestanden hatte, wucherte nur noch ein Wandelröschen-Dickicht. Ich holperte so weit ich konnte auf einer neu angelegten provisorischen Fahrspur, die sich quer durch eins der ehemaligen Tabakfelder zog. Schließlich ließ ich den Wagen neben der Abflussrinne stehen, in der die Kobra gewohnt hatte, und ging zum Haus hinauf.
Es waren keine frischen Fahrspuren auf der Straße, und als ich oben ankam, wirkte das Haus verlassen, Fensterscheiben waren zerbrochen, dem Dach fehlten Teile der Asbestabdeckung, auf den apricotfarbenen Wänden hatten sich Schimmelflecken ausgebreitet. Der Garten war vertrocknet und abgestorben. Ich klopfte an die Haustür (in der noch die uralten Kratzer von den Pfoten unserer sämtlichen Hunde zu erkennen waren), und ein Mann öffnete mir. Er trug in der Oktoberhitze kein Hemd und sah aus, als hätte ich ihn aufgeweckt. Ich entschuldigte mich für mein Eindringen, stellte mich vor und bat ihn um die Erlaubnis, mich einen Moment lang auf die Veranda setzen und mir die Aussicht betrachten zu dürfen.
Der Mann dachte kurz über mein Ansinnen nach, dann zuckte er die Achseln und sagte, die Aussicht gehöre ihm nicht. »Schauen Sie sie an, wenn es Ihnen Spaß macht.« Aber bevor ich ihm danken konnte, hatte er die Tür zugemacht, und ich war allein. Also setzte ich mich auf die Veranda und sog die wilde, schöne Landschaft in mich ein – die staubig roten Felsblöcke, die graublauen Kopjes, die unter wuchernder dunkler Wildnis versteckten Himalaya Hills. Dann ließ ich den Blick weiterschweifen über das Tal, hin zu John Parodis italienisch anmutender Farm mit der mediterranen Zypressenallee, den ionischen Säulen und dem gepflasterten Hof.
Von heute aus betrachtet, hätten wir alle diesen Ausgang kommen sehen müssen. Wir hätten erkennen müssen, dass eine mit solch eindimensionaler, unkritischer Fröhlichkeit begonnene Geschichte – mit edelsteinfarbenen Likören und portugiesischem Wein an einem klaren, rhodesischen Oktobervormittag – weniger als ein Jahrzehnt später mit Niederlage und gebrochenen Herzen enden musste. Aber wer besitzt in der Glut der Liebe, der Hitze der Schlacht, der dumpfen Verleugnung des Jetzt die Weisheit, mit ungetrübtem Blick nach vorne zu schauen? Meine Eltern sicher nicht. Die meisten von uns nicht. Doch die wenigsten müssen so teuer für ihre Vorurteile, Leidenschaften, ihre Fehler bezahlen. An vielen Orten dieser Welt kann man die lächerlichsten, zerstörerischsten, intolerantesten Überzeugungen hegen, ohne von etwas anderem als den eigenen Gedanken zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Während der Osterferien 1983 – ich war gerade vierzehn geworden – erfuhr ich von Mum, dass John Parodi auf seiner Veranda von einem oder mehreren unbekannten Mördern erschossen worden war. Der Krieg schwitzte noch lange nach seinem offiziellen Ende Rache und Mordlust aus. Die Leute, die seine Leiche gefunden hatten, erzählten, dass Johns blutige Handabdrücke noch über die ganze Veranda zu verfolgen gewesen waren, weil er versucht hatte, zu seinem Sohn Giovanni zu kriechen. Aber Giovanni – gerade mal vierzehn und schon attraktiv auf die augenbrauenschwingende Art seines breitschultrigen Vaters, dazu das respektlose Lächeln seiner Mutter – war von den Mördern seines Vaters von der Farm entführt worden. Madeline, Johns achtzehnjährige Tochter, war am Tag des Überfalls nicht zu Hause gewesen. Noch Monate und
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