Unter dem Blauen Mond: Die Legende von Falk und Fischer (Dämonenkrieg) (German Edition)
sie nicht da war. Die Macht, die er in der Vergangenheit so einfach benutzt hatte, die Verkörperung von Gottes Willen in der Welt der Menschen, gehörte nicht länger ihm. Er rief nach der Stimme in seinem Inneren und bekam keine Antwort.
„Also?“, sagte Falk. „Worauf wartet Ihr?“
„Ich bin viel weniger, als ich war“, sagte Lamento zögernd. „Ich bin der Zorn Gottes in der Welt der Menschen, aber ich glaube nicht, dass wir noch dort sind. Wir sind woanders.“
„Ich weiß immer, wo ich bin“, sagte der Seneschall. „Das war immer meine Begabung, meine Kraft. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich fühle mich verirrt. Ich habe mich noch nie verirrt gefühlt. Nie. Wie haltet ihr das nur aus?“
Seine Stimme wechselte schnell von Unsicherheit über Angst zu Hysterie und hörte erst auf, als Fischer ihn beim Arm packte und kräftig schüttelte. „Immer mit der Ruhe. Ihr werdet Euch daran gewöhnen. Konzentriert Euch auf das, was gerade passiert. Ich fand immer, dass die Anwesenheit der Toten den Geist wunderbar fokussiert.“
„Etwas geschieht mit den Geistern“, sagte Falk. „Sie sehen beunruhigt aus.“
Die dunklen Gestalten bewegten sich jetzt, glitten in einem großen Kreis seitlich um die Lebenden herum, kreisten immer schneller, bis die einzelnen Formen in einem großen, verschwommenen Fleck von Schwarz und Weiß aufgingen. Ihre flüsternden Stimmen erhoben sich wieder, versuchten verzweifelt, etwas Wichtiges mitzuteilen, aber alles, was man verstehen konnte, waren drei unheilvolle Wörter: „Die Vergänglichen“. Lamento rang überrascht nach Luft, und die anderen drehten sich zu ihm um.
„Das ist ein Name, den ich nicht zu hören erwartete hatte“, sagte er. „Die Vergänglichen sind unsterbliche Kreaturen von großer Macht, die körperlichen Erscheinungen abstrakter Konzepte oder Ideen. Sie existieren außerhalb von Raum und Zeit, bis irgendein Narr sie in die Welt beschwört. Da sie nie geboren wurden, können sie nicht sterben. Sie sind in eine sterbliche Form destillierte Vorstellungen; sie können nie zerstört werden, nur verbannt. Der Dämonenprinz war ein Vergänglicher. Er allein hat fast die sterbliche Welt zerstört. Wenn es an diesem Ort mehr als eines von ihnen gibt, dann sind wir alle überfordert.“
Dann schrien die Toten durchdringend, ein furchtbares Geräusch, das die große Empore füllte und von den blutbeschmierten Wänden widerhallte. Ihr Schrei verblasste plötzlich gemeinsam mit ihren geisterhaften Erscheinungen, und Sekunden später verblieben nur noch die Echos ihrer Schrecken als Beweis, dass sie jemals dagewesen waren. Trotzdem gab es noch eine Präsenz auf der Empore, so stark, dass sie sie alle spüren konnten, das Gefühl, von böswilligen Augen beobachtet zu werden. Falk und Fischer standen wieder Rücken an Rücken und hielten die Waffen vor sich ausgestreckt. Lamento sah sich wütend um. Der Seneschall neigte den Kopf leicht zur Seite und horchte.
„Da kommt noch etwas“, sagte er. „Etwas Böses.“
Dann war er da, direkt vor ihnen, ein in Flammen gehüllter Mann. Falk und Fischer wichen einen Schritt zurück, vertrieben von der sengenden Hitze. Der Seneschall stand hinter Lamento, der seinen Stab zwischen sich und den in Flammen stehenden Mann pflanzte. Die Flammen loderten, verschlangen ihn aber nicht. Seine Haut war zuerst qualvoll rot, dann brannte sie, wurde dunkel und riss auf, die offenen Risse leuchteten blutrot, ehe sie wie lebendige Kohle noch dunkler wurden, nur um abzubrechen und abzufallen, und darunter kam neue, frische Haut zum Vorschein. Immer wieder, in einem endlosen, qualvollen Zyklus. Die knisternden Flammen erhoben sich und verloschen, und sein Körper brannte ewig. In Flammen gehüllt, endlos gepeinigt.
„Der brennende Mann“, sagte Jericho Lamento leise.
„Willkommen in meiner Schöpfung“, sagte der brennende Mann mit trockener, heiserer Stimme. Flammen tanzten auf seiner Zunge, in seinem Mund. „Das alles ist mein. Ich habe es erdacht. Dafür habe ich all diese Menschen sterben lassen, auf der Jagd nach etwas Größerem. Meinetwegen und wegen meiner Taten sind sie für immer hier gefangen. Sie kommen und gehen, wie es mir gefällt. Ich habe ihnen gestattet, sich eine Weile zu manifestieren, um mit euch zu reden, damit ihr von meiner Macht erfahren konntet.“
„Wenn du so mächtig bist“, sagte Fischer, „wieso brennst du dann?“
„Weil ich gestorben bin und verdammt wurde“, sagte der brennende Mann.
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