Unter dem Blauen Mond: Die Legende von Falk und Fischer (Dämonenkrieg) (German Edition)
verlorenen Südflügel der Waldburg wiederzuentdecken. Ich fand eine Tür, die zu einem Turm führte, der im Verhältnis zu den umliegenden Gebäuden auf dem Kopf stand. Als ich hindurchging, wurde ich auch auf den Kopf gestellt – oder eher richtig herum, was den Turm betraf. Die Magie hier fühlt sich sehr ähnlich an wie das damals.“
„Warum bin ich dann nicht richtig herum herausgekommen?“, fragte Falk.
„Weil Ihr durch das Seil noch körperlich mit diesem Raum verbunden wart.“
„Augenblick mal“, sagte Fischer leicht unheilvoll. „Schlagt Ihr ernstlich vor, dass wir alle mit den Füßen voran in die Wolken springen und darauf vertrauen, dass alles schon in Ordnung kommt?“
„Im Grunde genommen ja“, sagte der Seneschall.
„Ihr zuerst“, sagte Fischer. „Wir werden alle auf einen Schrei hören.“
„Ich gehe zuerst“, sagte Lamento. „Ihr müsst nur einen festen Glauben haben.“
Genauso einfach trat er vom Rand des Vierecks und fiel in die dräuenden Wolken. Alle lauschten angestrengt, aber es gab keinen Schrei. Einige Augenblicke später drang Lamentos Stimme aus erstaunlicher Nähe zu ihnen.
„Kommt herein. Die Kathedrale ist sehr interessant.“
Der Seneschall sprang sofort und verschwand in den Wolken. Fischer nahm Falks Hand mit einem festen Griff, und sie sprangen gemeinsam.
Sie brachen durch die Wolkenoberfläche, drehten sich beunruhigend schnell mitten in der Luft, und dann standen sie auf einem nackten Marmorboden am Fuß einer unglaublich hohen Empore. Auf dem Boden war keine Spur von der Lücke, durch die sie gesprungen waren. Das machte Falk und Fischer einen Augenblick lang Sorgen, aber sie wurden schnell abgelenkt von der bloßen Größe der Kathedrale, die sie umgab. Sie waren auf der mittleren Empore aufgetaucht, einer riesigen, offenen Fläche, begrenzt von rein weißen Marmorwänden, die Hunderte Meter nach oben schossen, bevor sie schließlich in einem verschwommenen Blau verschwanden, das hinter der Reichweite des menschlichen Auges lag. Die Empore hätte friedlich, ja spirituell gewirkt, wenn da nicht die dicken Rinnsale dunkelroten Bluts gewesen wären, das endlos an den Marmorwänden herabfloss. Das Blut sammelte sich in großen Pfützen auf dem Boden der Empore und sickerte langsam um die Reihen der Kirchenbänke aus dunkler Eiche herum.
Der ganze Ort roch wie ein Schlachthaus.
„Wo zur Hölle kommt das ganze Blut her?“, fragte Fischer flüsternd.
„Genauso passend“, sagte Falk genauso flüsternd, „könnte man fragen: Von wem oder was kommt es?“
Der Boden war mit Blut überschwemmt, aber es stand nie tiefer als vielleicht zwei Zentimeter, trotz des endlosen scharlachroten Stroms von den Wänden herab. Fischer trat vorsichtig hindurch, um die sauberste Kirchenbank zu begutachten. Das solide Holz war sauber, aber die Kissen und bestickten Kniepolster waren blutdurchtränkt. Ein Gesangbuch lag auf einem hölzernen Sitz, und sein lederner Umschlag war mit getrocknetem Blut gesprenkelt. Fischer hob es auf und schlug es auf einer zufälligen Seite auf. Der Text war in einer gestochenen Schrift handgeschrieben und bestand aus dem immer wieder wiederholten Satz „Wir brennen alle“. Fischer blätterte es durch, aber es war überall dasselbe. „Wir brennen alle.“
„Gotteslästerung“, sagte Lamento, und Fischer zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte nicht gehört, wie er herangekommen war, und schaute über die Schulter. Er griff nach dem Gesangbuch, und Fischer war froh, dass er es nahm. Sie rieb sich die Hände kräftig an den Hüften, als könnten sie verseucht sein. Lamento öffnete das Buch und stieß ein verblüfftes Geräusch aus. Fischer blickte auf die Seite, die vor ihm geöffnet lagen. Der handgeschrieben Text lautete nun: „Willkommen, Jericho Lamento. Wir haben auf dich gewartet“. Immer wieder.
„Interessant“, sagte Lamento mit ruhiger, scheinbar unbewegter Stimme.
„Ist das alles, was Ihr zu sagen habt?“, fragte Fischer. „Ein Buch, das jahrhundertelang hier eingeschlossen war, kennt Euren Namen?“
„Wer auch immer für diesen Taschenspielertrick verantwortlich ist, weiß nicht alles. Er kennt meinen wahren Namen nicht. Ich habe Lamento erst als meinen Namen angenommen, als ich der Wanderer wurde.“
„Aber Jericho Lamento ist nun dein wahrer Name“, sagte eine ferne, raue Stimme. „Das alte Du ist tot. Du hast es getötet, um zu dem zu werden, was du jetzt bist. Lamento ist alles, was du noch sein wirst,
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