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Unter dem Deich

Unter dem Deich

Titel: Unter dem Deich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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versichert doch das Wort Gottes nicht, man geht doch davon aus, dass Gott selbst dafür sorgen wird, dass nichts passiert.«
    »Wie viele Bibeln?«
    »Bestimmt zweihundert. Schau, ich hatte sie auf dem zweiten Brett von unten stehen. Im Wohnzimmer. Und das Wasser ist genau bis zum dritten Brett gestiegen.«
    »Was du also auf dem untersten Brett stehen hattest, ist auch perdu?«
    »Ja, auf dem untersten Brett standen die Werke von Abraham Kuyper. Die allgemeine Gnade – drei Bände, nichts mehr von übrig. Über das alte Weltmeer, du weißt schon, diese beiden kolossalen Bände mit den herrlichen Bildern – nur noch Pappmaché. Das Werk über den Heiligen Geist – drei Bände, die jetzt wie alte Taschentücher aussehen. Sein Buch über den Modernismus – ein einziger Pamp. Und all seine Gebete und Meditationen – weg, einfach weg. Im Wijde Slop habe ich noch ein paar zerfetzte Bände wiedergefunden.«
    »Schlimm«, sagt mein Vater, »sehr, sehr schlimm.«
    »Nun ja, schlimm, das schon, aber nicht unwiederbringlich. Einen Band mit Gebeten, den findet man immer wieder mal. Und auf dem Flohmarkt in Rotterdam, da findest du jederzeit die ein oder andere Meditation. Bloß so ein Buch wie Über das alte Weltmeer, da stolpert man nicht alle Naslang drüber, das findet man heute nicht mehr so oft, und was den Rest angeht, nein, darüber jammere ich nicht, das Kreuz, das will ich schon tragen. Aber meine Bibeln, nicht wahr, das war eine wertvolle und einmalige Sammlung. Allein die Deuxaes-Bibel war ein Vermögen wert.«
    »Mannomann«, sagt mein Vater.
    »Ob du es glaubst oder nicht«, sagt Strijbos, »ich kann nachts deswegen nicht schlafen, ich verstehe das einfach nicht. Wie kann der Herr eine so glänzende Sammlung seiner eigenen Worte untergehen lassen?«
    »Na, na«, sagt mein Vater, »du bist selber schuld. Du hast sie zu tief gelagert. Du hättest sie aufs oberste Brett stellen müssen. Als du noch in der Sandelijnstraat gewohnt hast, standen sie auf dem obersten Brett.«
    »Damals habe ich noch kleine Kinder gehabt!«
    »Als ob die jetzt schon so groß wären! Nein, nein, du hast die Bibeln nach deinem Umzug nur deshalb auf das zweite Brett gestellt, um damit zu prahlen! Was steht denn auf dem obersten Brett?«
    »Die Bücher von Jan Mens.«
    »Von diesem sozialistisch angehauchten Volksschriftsteller! Die gehören nach unten, die hätten ertrinken …«
    »Nein, nein, die Bibeln haben dort gestanden, genau dort, weil ich sie so am besten sehen konnte. Wenn ich in meinem Lehnstuhl saß, konnte ich, wenn ich das wollte, mit beiden Händen ihre ledernen Rücken streicheln. Wie mich das getröstet hat! Nein, ich kann nicht begreifen, wie der Herr sie …«
    »Wer sagt, dass der Herr sie hat ertrinken lassen?«
    »Gibt es ein Übel in der Stadt, dass der Herr nicht bewirkt hat?«
    »Ja, das stimmt, aber die Bibeln hast du trotzdem zu tief gestellt. Was hättest du denn gewollt? Dass der Herr das Wasser beim zweiten Brett einen kleinen Sprung machen lässt?«
    »Es hätte nicht weiter steigen dürfen als bis zum zweiten Brett! Der Herr wusste doch, dass da meine Bibeln stehen.«
    »Er hat nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont. Warum sollte er also sein heiliges Wort verschonen?«
    »Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, um uns von Sünde und Verdammnis zu erlösen, aber es hat doch keinen Sinn, wenn er sein heiliges Wort untergehen lässt? Davon hat doch keiner was? Es steht doch geschrieben: ›Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.‹«
    »Mann, Strijbos, jetzt hör aber auf«, sagt meine Mutter, »eintausendachthundert Menschen sind ertrunken, und du jammerst über ruinierte Bibeln.«
    » Das waren Sünder«, sagt Strijbos, »aber das hier waren Bibeln, das war das Wort des Herrn selbst!«
    »Und was willst du damit sagen?«, möchte mein Vater wissen.
    »Dass ich … ja, es ist schrecklich, ich weiß es, aber … Gott wird mich noch strafen, aber … aber …«
    »Was, aber?«, fragt mein Vater.
    »Aber die Bibel ist doch Gottes Wort, oder nicht?«
    »Warum sollte sie das plötzlich nicht mehr sein?«
    »Wer lässt denn sein eigenes Wort ertrinken? Neulich erst war ein Bruder aus Heerhugowaard hier und hat sich meine Bibeln angesehen. Er meinte: ›Strijbos, was du hier stehen hast, ist keine Funzel zum Lesen und keine Leuchte für den Weg, das ist eine komplette Lampenfabrik. Mann, Mann, du hast hier Meere von Licht, Scheinwerfer des Heils.‹ Und nun, alles nur noch Pulp. Selbst die schönen

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