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Unter dem Deich

Unter dem Deich

Titel: Unter dem Deich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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mich nicht. Ich hatte die Mühle bereits hinter mir gelassen, als mir plötzlich auffiel, dass ich etwas Eigenartiges gesehen hatte. Ich kehrte um, ging erneut an Hellenbroek vorüber und betrachtete die Angelutensilien, die neben seinem Hocker am Ufer lagen. Dort stand auch eine große altmodische Kuchendose, in der sich Brot, ein paar Kartoffeln und eine Tüte mit Würmern befanden.
    Als wir am Abend gebackenen Fisch aßen, sagte ich beiläufig: »Ich habe Hellenbroek heute bei der Wippersmühle angeln sehen. Er hatte genau so eine Kuchendose bei sich, wie du …«
    »Was!«, rief mein Vater. »Weißt du genau, dass es exakt diesselbe Dose war?«
    »Exakt dieselbe«, antwortete ich, »mit genau denselben Riffeln im Boden und einem Bild von einem Fischerboot darauf.«
    »Nun, Mutter«, sagte mein Vater, »ich hatte die ganze Zeit schon das Gefühl, dass sich immer noch jemand an meinen Wällen zu schaffen macht. Mir ist es ständig so vorgekommen, als wäre der Deckel ein klein wenig verschoben worden, aber wenn ich ihn hochgehoben habe, dann waren die Wälle vollkommen intakt, und deshalb habe ich mich auch nicht weiter drum gekümmert. Und trotzdem dachte ich manchmal: Ist der Wall wirklich von mir? Aber dann waren da die Riffel von der Kuchendose, und alles schien in Ordnung zu sein.«
    »Wo bewahrst du die Büchse auf?«
    »Im Bahrhäuschen.«
    »Kann er sie dort gesehen haben?«
    »Ja, natürlich, er kommt nach der Beerdigung immer ins Bahrhäuschen, um seine Träger zu bezahlen.«
    »Und nun?«
    »Was nun? Du meinst, was ich jetzt tun werde? Jetzt will ich es genau wissen, und zwar ganz genau. Jedes Mal, wenn er tagsüber ein Begräbnis hat, werde ich mich abends auf die Lauer legen.«
    »Und wenn er erst in der Nacht kommt?«
    »Ich warte so lange, bis er kommt. Ich verstecke mich im großen Rhododendronstrauch. Ich werde ihn schon erwischen. Da hat er mich mit seiner Kuchendose doch tatsächlich an der Nase herumgeführt.«
    Es war bereits Ende Juni, als Hellenbroek das nächste Mal während des Abendessens erschien und eine Beerdigung ankündigte. Am Abend nach dem Begräbnis versteckte mein Vater sich im Rhododendronstrauch.
    Als er mitten in der Nacht heimkam, wachte ich auf. Ich hörte die Turmuhr zwei schlagen. Wie gern wäre ich aus dem Bett gesprungen, um ihn zu fragen, ob was passiert war. Aber ich tat es nicht, wohl wissend, dass er mich nur mit einem barschen Befehl wieder ins Bett geschickt hätte. Durch die dünne Holzwand des Mansardenzimmers hörte ich kurz seine Stimme, verstand aber nicht, was er sagte. Seine zumeist üble Frühstückslaune fürchtend, wagte ich es am nächsten Morgen nicht, ihn zu fragen. Auch beim Mittagessen hielt ich den Mund, und er erzählte nichts. Nach dem Essen rannte ich zum Haus der Gemeinnützigen Bank, um in der dortigen Bibliothek neue Bücher auszuleihen. Ich verzichtete darauf, zum angeschwemmten Neuland zu gehen, und spazierte stattdessen über den Deich. Es war warm und sonnig. Beim Julianapark mischte sich von Key & Kramer herüberwehender Teergeruch mit den aufsteigenden Dämpfen aus dem gärenden Wassergraben, der den Friedhof begrenzte. Als ich durchs Tor ging, gurrten die Ringeltauben wie verrückt. Mein Vater war in der ersten Klasse dabei, einen Grabstein zu säubern. Ich ging zu ihm hin, und er sagte: »Was willst du?«
    »Ich würde so gern wissen, was …«
    Er brummelte was vor sich hin und sagte dann: »Man hat heute Morgen bei ihm eine Durchsuchung gemacht.«
    »Eine Durchsuchung?«, rief ich verwundert, »eine Durchsuchung? Wer denn?«
    »Groeneveld und Moerman.«
    »Wieso?«
    »Tja, wenn ich das wüsste.«
    »Los, erzähl«, bettelte ich.
    »Wenn du deiner Mutter nichts sagst«, erwiderte er, »und wenn du gleich für mich den Rasen von der dritten Klasse rollst.«
    »Ich werde kein Wort sagen«, erklärte ich mich einverstanden.
    »Kein einziges Wort«, wiederholte er, »kein Sterbenswörtchen, zu niemandem.«
    »Bestimmt nicht«, sagte ich, »und den Rasen rolle ich auch ab.«
    »Schön. Kann ich mich wirklich darauf verlassen, dass du nichts sagst?«
    »Ja«, erwiderte ich ungeduldig.
    »Gut. Mann, das ist vielleicht eine Geschichte. Gestern habe ich hier bis halb eins im Rhododendron gesessen. Dann ist er aufgetaucht. Beim Leichenhaus ist er über den Zaun geklettert. Er ging zum Grab, in dem er gestern erst jemanden bestattet hat, nahm den Deckel ab und stieg in die Grube. Und weißt du, was dann passiert ist?«
    »Dann hast du ihn dir

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