Unter dem Deich
genau, dass Sie im Namen Gottes sprechen? Warum sagen Sie nicht im Namen Gottes zu Bruder Hummelman, es sei allmählich an der Zeit, in die Scheidung einzuwilligen?«
»Bruder Hummelman will sich nicht scheiden lassen. Bruder Hummelman hat vor Gott, den Engeln und seiner heiligen Gemeinde dich in der Zuiderkerk zur Frau genommen und dabei gelobt, dich als seine Frau zu lieben wie sich selbst, und zugesichert, sein Weib als das schwächere Geschöpf ehren zu wollen.«
Sie sah, dass der Boden dort, wo Pastor Bonga sich ruhelos hin und her bewegte, mit glitzernden Speicheltröpfchen bedeckt war. »Schon wieder putzen«, dachte sie und sagte: »Ich muss zur Arbeit, Pastor.«
Im sonnendurchfluteten Büro bei Key & Kramer dachte sie über die Trauformel nach, aus der Bonga zitiert hatte. »Ich muss das Ganze noch einmal nachlesen und sehen, wozu ich da Ja gesagt habe.« Am Abend nahm sie die Trauformel zur Hand. »Du sollst deinem Mann in allen guten und aufrichtigen Dingen beistehen, auf deinen Haushalt achthaben und in aller Demut und Ehrbarkeit ohne weltliche Pracht leben, strebend nach der unvergänglichen Zier eines sanftmütigen und stillen Geistes.«
»Habe ich dazu tatsächlich einmal Ja gesagt?«, dachte sie voller Grausen.
Sie las weiter und stolperte über diese Passage: »Dem Gebot Gottes sollst du dich nicht widersetzen, sondern vielmehr dem Gebot Gottes gehorchen und dem Beispiel der heiligen Frauen folgen, welche auf Gott hofften und ihren Männern Untertan waren.«
»Ich schau noch kurz bei Maud vorbei«, sagte sie zu Jan.
»Ist gut«, erwiderte er, »bestell ihr herzliche Grüße von mir.«
Sie ging in die Johan Evertsenlaan, saß an ihrem Krankenbett.
»Ist der Maulwurf aus dem Niedermoor bei dir gewesen?«
»Ja, was für ein Widerling, nicht? Der hat wirklich Knopfaugen.«
»Und dann diese Teppichfliesenfrisur.«
»Und er spuckt alles voll.«
»Und hast du seine Hose gesehen, die ist garantiert schon zwanzig Mal zur Reinigung gewesen, und die Beine schlackern fünfzehn Zentimeter über den Fußknöcheln.«
»Er hat mir mehr oder weniger die ganze Trauformel vorgelesen.«
»Was, wirklich? Dass du untertänig sein musst und ein sanftmütiger, stiller Geist und eine verdorbene Zierde?«
»Nein, Maud, mach es nicht schlimmer, als es schon ist. Eine unverderbliche Zierde.«
»O ja, unverderblich! Und steht da nicht auch, der Mann soll sein Weib begehren?«
»Maud! Nein, da steht, er soll sein Weib als das schwächere Wesen ehren.«
»Ja, ja, und so haben sie uns jahrhundertelang unterdrückt, diese Schufte! Ist dir nie aufgefallen, dass Gott in der Bibel immer nur mit Männern zusammen ist? Wenn er jemanden ruft, Samuel, Moses, Paulus, dann immer einen Mann. Wenn er seine Apostel auswählt, sind das zwölf Männer. Wenn er jemanden auf seinem Weg begleitet, wie etwa Henoch, dann ist es ein Mann. Und wem wird eine herrlich warm glühende Kohle auf die Lippen gedrückt? Esther, Ruth, Deborah? Nein, natürlich Jesaja.«
»Darüber habe ich bisher nicht nachgedacht.«
»Dann wird es höchste Zeit, dass du es tust! Was steht im zehnten Gebot? Du sollst nicht begehren den Ochsen, den Esel und die Frau deines Nächsten. Offenbar darf man schon den Mann seiner Nächsten begehren, also pass ja auf deinen Jan auf. Und wo stehen wir? Zwischen Ochs und Esel! Aber was spielt das letztendlich für eine Rolle? Das alles ist sowieso glasklarer Betrug.«
Sie dachte: »Das ist die Gelegenheit, mit ihr über den Glauben zu sprechen«, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie sah nur die Samttafel vor sich, auf die sie, vor langer Zeit, jeden Sonntag gestarrt hatte. Sie sah, wie der Sonntagsschullehrer den Esel an der Tafel festdrückte, der Esel, auf den anschließend Jesus gesetzt werden sollte, um seinen Einzug in Jerusalem zu absolvieren. Bevor der Lehrer Jesus auf den Esel setzen konnte, fiel das Tier von der Samttafel. Der Lehrer nahm den Esel und heftete ihn abermals an, nahm Jesus, und der Esel fiel. Er legte Jesus zurück, nahm den Esel, heftete das Tier an die Tafel, hielt es mit dem Daumen der linken Hand fest und setzte Jesus mit der rechten auf den Esel. Dann ließ er den Esel los, und Jesus fiel, zusammen mit seinem Reittier, zu Boden.
Sie sah es so deutlich vor sich, dass es ihr vorkam, als habe sich das Ganze gerade eben erst vor ihren Augen abgespielt. Sie sah die kaputten Scheiben in den bleiverglasten Fenstern der Zuiderkerk. Sie hörte sich, während der Mädchenkatechese im
Weitere Kostenlose Bücher