Unter dem Eis
Locken aus dem braungebrannten Gesicht und sieht Manni an. Das hat ihm gerade noch gefehlt, für rührselige Wiedervereinigungen hat er jetzt überhaupt keine Zeit, aber das hilft nichts – es ist die Krieger.
»Judith!«
»Hallo Manni.« Sie steht auf, die Einzelteile ihres Handys in der linken Hand. »Wenn mein Telefonbuch futsch ist, bin ich geliefert.«
»Darf ich?«, er streckt die Hand aus, verflucht sich dafür, denn er hat keine Zeit, aber andererseits hat er seine Exteampartnerin nun mal umgerannt, das lässt sich nicht leugnen, also kann er sie jetzt schlecht einfach stehen lassen.
Sie händigt ihm die Teile aus und lächelt, ein Ereignis, das, soweit er sich erinnern kann, früher Seltenheitswert besaß. Überhaupt sieht sie anders aus, wird ihm bewusst. Jünger. Regelrecht attraktiv. Was nicht nur an der Bräune liegt, die ihren Teint gleichmäßiger, die Sommersprossen weniger prominent wirken lässt und die grauen Augen heller. Es ist etwas an ihrer Körperhaltung, ein gewisser Ausdruck in ihrem Gesicht. Außerdem muss sie abgenommen haben, und ihre Klamotten verstärken diesen Eindruck noch. Ein enges schwarzes Trägertop, eine halbdurchsichtige Bluse, eine weite, sandfarbene Hose und Jesuslatschen. Ihre Fußnägel sind schwarz lackiert, was komischerweise sexy wirkt. Auf einmal wird ihm bewusst, dass er die Krieger anstarrt und dass sie das bemerkt. Schnell richtet er seine Konzentration auf ihr Handy.
»Wann haben wir uns eigentlich das letzte Mal gesehen?« Sie spricht, als könne sie seine Gedanken lesen. »Egal. Ist viel passiert seitdem. Wie auch immer, nächste Woche komme ich zurück.«
Manni schiebt die Abdeckklappe auf die Handyrückseite. So weit passt alles und wirkt unversehrt. Er hält ihr das Mobilfunkgerät hin, weiß plötzlich nicht, wie er fragen soll, was er wissen möchte, aber wieder antwortet sie ihm auch so.
»KK 11 , gerade war ich bei Millstätt.« Sie nimmt ihr Handy, schaltet es ein, tippt darauf herum und stößt einen erleichterten Seufzer aus. »Sieht gut aus. Danke für die Reparatur. Komm, ich lade dich zu einem Drink ein, oder hast du es eilig?«
»Ich wollte gerade was essen gehen.« Er ist zu hungrig, um sich eine Ausrede auszudenken, und außerdem kann sie nichts dafür, dass er versetzt worden ist. Irgendjemand hat ihm sogar gesteckt, dass sie sich bei Millstätt für ihn stark gemacht hat, Manni kann ihr also nichts vorwerfen und trotzdem reißt ihr Anblick alle Wunden auf. Hör auf damit, Mann, hör endlich auf, jammern bringt dich nicht weiter. Unwillkürlich beschleunigt er seine Schritte. Wenn er sich beeilt, wenn er sich bewährt, wenn er diesen Jungen findet, tot oder lebendig, und diesmal alles richtig macht, vielleicht holt Millstätt ihn dann zurück. Und wenn er sich mit Judith Krieger gut stellt, behält er immerhin einen Draht zum KK 11 .
Seine Kollegin bleibt wortlos an seiner Seite und nach wenigen Minuten erreichen sie Dimitris Grillimbiss in der Taunusstraße. Manni bestellt Gyros komplett und eine große Apfelschorle, Judith Krieger Bauernsalat und Mineralwasser. Diät, denkt Manni. Vielleicht hat sie ja einen neuen Freund. Er schiebt den Gedanken an Judith Krieger beim Sex beiseite. Dimitri hat blaue und weiße Ikea-Klappstühle und Tische auf den Bürgersteig gestellt, grottig unbequem, aber im Schatten. Manni leert seine Apfelschorle in einem langen Zug, bestellt gleich noch eine und streckt die Beine aus. Der Druck hinter seiner Stirn lässt nach, was ein Glück ist, denn Dimitris Sirtakimusik quäkt auf die Straße, der Imbisschef kennt mal wieder keine Gnade und pfeift mit, während erFleischstücke vom Spieß säbelt. Die typischen Luschen und Looser des Viertels schlappen an ihnen vorbei. Sportbekleidung aus Ballonseide ist für sie auch im Hochsommer ein modisches Muss.
Während sie essen, reden sie über dies und das, beide bemüht, das heikle Thema der Strafversetzung zu umgehen und die Pausen nicht zu lang werden zu lassen. Auch die Krieger fühlt sich nicht wohl damit, dass sie ins KK 11 zurückdarf und er nicht, wird Manni klar, obwohl sie das so direkt nicht sagt. Sie erzählt, dass sie ihre letzten Urlaubstage damit verbringt, eine verschwundene Schulkameradin aufzuspüren, die offenbar in Kanada verschollen ist. Im Gegenzug nennt Manni ihr ein paar Eckpunkte seiner Jagd nach Jonny Röbel. Es tut ihm gut, wenigstens einen Bruchteil seiner Gedanken loszuwerden, und die Art, wie die Krieger zuhört und hin und wieder
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