Unter dem Eis
eine präzise Frage stellt, lässt ihn die Teamarbeit in einer Mordkommission einmal mehr vermissen. Hör auf damit, Mann. Sie bestellen griechischen Mokka, und seine Kollegin lässt es sich nicht nehmen, die gesamte Rechnung zu begleichen. Schließlich verabschieden sie sich in einer Nebenstraße des Präsidiums, wo Judith Krieger mit Besitzerstolz eine dunkelblau lackierte Citröen-Ente aufschließt und sich am Faltdach zu schaffen macht. Ihr Retrotick, richtig, den hatte er fast vergessen, passt aber einwandfrei zur Bemalung ihrer Fußnägel, und jetzt fällt ihm auch ihre 7 oer-Jahre-Plattensammlung wieder ein, die sie in ihrer Wohnung hortet. Bei seinem bislang einzigen Besuch bei ihr zu Hause hat er unfreiwillig eine Hörprobe bekommen, damals, als die einstige Starermittlerin des KK 11 ganz unten war und er noch glaubte, er hätte die Sache im Griff und Millstätt sei auf seiner Seite.
»Dein neues Auto?«
»Ein Anflug von Nostalgie. Hab ich mir zum 39 . geschenkt.«
»Hübsch. Aber waren die früher nicht mal grün-weiß?«
Sie errötet ein bisschen, lächelt aber. »Ich hab sie umspritzen lassen, ist ja kein Dienstfahrzeug.«
Apropos Dienstfahrzeug. Inzwischen ist es nach 19 Uhr,und die Chancen stehen gut, dass er im Fuhrpark etwas Besseres abstauben kann als eine schrottreife Gurke. Das entscheidet, was er als Nächstes tun wird. Die Schreibtischarbeit kann warten, und telefonieren kann er, während er fährt. Solange es noch hell ist, wird er sich diesen Autobahnrastplatz ansehen, checken, ob es von dort einen gangbaren Weg zu der Schutzhütte gibt, wo der vierzehnjährige Jonny Röbel vielleicht in blindem Horror Zeuge wurde, wie irgendein herzloses Arschloch seinem Hund ein Ohr abschnitt. Ist der Stiefvater Frank Stadler zu solcher Brutalität fähig?
Stadler hat sich am Samstagnachmittag länger aus dem Zeltlager entfernt, als er zunächst aussagte, das haben die Befragungen der Campteilnehmer ergeben. Doch ein einsamer Spaziergang ist noch kein Verbrechen, zumal noch weitere Kölsche Sioux allein im Wald unterwegs gewesen sein wollen, auch Häuptling Hagen Petermann. Und weder Stadler noch einer der anderen Freizeitindianer ist vorbestraft. Was ist im Königsforst passiert?, fragt Manni sich wohl zum hundertsten Mal. Das Gelände rund um die Hütte ist extrem schwierig, voller Unterholz und Brombeerranken, die Hundestaffel hat schon Feierabend gemacht, ohne eine weitere Spur zu finden. Der Autobahnrastplatz, denkt Manni. Ich hätte drauf bestehen müssen, dass sie den noch prüfen. Irgendwohin müssen der Junge und sein Dackel ja verschwunden sein, sie können sich doch nicht in Luft auflösen. Vielleicht hat wer auch immer sie von dem Parkplatz weggefahren und dann können wir im Königsforst noch tagelang jeden Stock rumdrehen, dann haben wir ganz einfach keine Chance. Oder ist überhaupt kein Verbrechen geschehen und der Junge hat sich aus eigenem Willen per Anhalter davongemacht?
Seine Exteampartnerin steigt in ihre Retrokutsche, der Motor erwacht mit einem schwachbrüstigen Huster zum Leben, sie winkt und tuckert davon, der Hauch eines 70 er-Rock-Oldies weht als Abschiedsgruß durchs offene Faltdach zu ihm herüber. Wann ist sie wieder im KK 11 , was hat sie gesagt? In einer Woche schon? Kann er den Fall Jonny Röbel bis dahin lösen? Kann er den Jungen retten? Und was ist, wenn Jonny tot ist – bekommt KriminalhauptkommissarinJudith Krieger dann zum Einstand Mannis Ermittlungsakte auf den Tisch? Manni angelt ein Fisherman’s aus der Tüte, zerbeißt es, dass die Schärfe seine Mundschleimhäute betäubt und den Geschmack von Dimitris Knoblauchsoße wegätzt. Obwohl die Hitze auf dem Asphalt brütet und die anderen Passanten sich wie im Koma dahinschleppen, beschleunigt er seine Schritte.
»Wo warst du am Samstagnachmittag?«, fragt Martina Stadler mit dieser heiser flüsternden Stimme, die ihr selbst unheimlich ist. Der Tag ist vorübergegangen, irgendwie vorübergegangen, in seiner ganzen monströsen Unerträglichkeit. Sie ist zum Warten verdammt. Jonny lebt, das spürt sie einfach, aber es geht ihm nicht gut, er ist in Gefahr, und sie kann nichts tun, um ihn zu retten. Sie hat mit allen Menschen gesprochen, die Jonny kennen. Niemand scheint etwas zu wissen, niemand hat eine Idee, wo Jonny ist. Lene und Leander haben den Nachmittag bei Franks Eltern verbracht, aber um sie nicht unnötig zu ängstigen, haben sie entschieden, dass die Kinder zu Hause übernachten sollen. Frank hat sie
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