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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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sind der Schlüssel zu ihr. Warum zum Teufel bleibt dieses Gefühl von Gefahr?
    David greift nach ihrer Hand. Wieder wird Berührung zu Hitze.
    »Ich muss trotzdem mit Charlotte sprechen«, sagt Judith.

    »Dieser Korzilius will dich noch mal befragen. Du sollst ihn anrufen.«
    Erst als Leander und Marlene im Bett sind, bricht Martina ihr Schweigen und richtet aus, was der Kommissar ihr am Mittag aufgetragen hat.
    Frank lehnt an der Spüle und sieht müde aus. Wächsern.
    »Morgen«, sagt er. »Jetzt ist es zu spät. Warum sagst du mir das erst jetzt?«
    »Sie haben Dr. D. gefunden.«
    »Wo? Wann?« Frank macht einen Schritt auf sie zu, will sie umarmen. Sie hebt die Hand, eine winzige Geste nur, aber sie bremst ihn aus. Wie ein geschlagenes Kind bleibt er vor ihr stehen.
    »Wo? Wann?«, äfft sie ihn nach. »Als ob das eine Rolle spielt.«
    Er fährt sich mit der Hand durchs Haar, eine hilflose, mechanische Geste. »Bitte, Tina, sag mir, was du weißt. Was ist mit Dr. D.?«
    Sie will ihn anschreien, sein Gesicht zerkratzen, ihn ohrfeigen, damit er endlich die Beherrschung verliert. Diese coole, unnahbare, scheißrationale Ich-bin-der-Familienvater-Attitüde, diese gottverdammte männliche Überlegenheit, mit der er versucht, in den Griff zu bekommen, was nicht in den Griff zu bekommen ist.
    »Ich soll dir sagen, was ich weiß? Warum redest du nicht zur Abwechslung mal mit mir? Warum sagst du mir nicht endlich, warum du am Samstagnachmittag allein im Wald warst, statt dich um Jonny zu kümmern? Nur so als Anfang?«
    »Bitte, Tina.«
    Sie gibt dem Küchenstuhl einen Tritt, dass er an die Wand schleudert. Diese Wand, die sie erst vor ein paar Wochen mit so viel Liebe marmoriert hat. Wehe, jemand spritzt noch mal Spaghettisoße dagegen, hat sie gedroht. Jetzt hat sie ihr sonnengelbes Kunstwerk zerstört, die gebeizte Lehne hat eine hässliche schwarze Schramme in ihre Wand gerissen. Sie starren beide auf diese Wunde, so lange, dass Frank zusammenzuckt, als sie endlich seine Frage beantwortet.
    »Tot«, sagt sie. »Dr. D. ist tot. Sie haben ihn in einem Koffer gefunden, sozusagen aufgebahrt, unter einem Jesus, vor einer Kirche in irgendeinem Kaff.«
    Wieder will ihr Mann einen Schritt auf sie zu machen. Wieder lässt sie seine Bewegung gefrieren.
    »Ich war heute Nachmittag bei Jonnys Freund Tim. Er ist krank. Krank vor Angst, wenn du mich fragst, auch wenn er das vehement bestreitet. Jonny hatte auch Angst, bevor er verschwand. Wovor?«
    »Ich weiß es nicht. Das bildest du dir ein. Er war wie immer.«
    »Nein.« Sie wundert sich, dass sie ganz normal sprechen kann, dass sie nicht losheulen muss, dass sie nichts fühlt. »Er war stiller als sonst. Bedrückt. Ich habe Tim gefragt, ob Jonny Schwierigkeiten in der Schule hatte. Er hat das bestritten. Also hatte Jonny vielleicht Probleme mit uns.«
    »Du weißt doch gar nicht, ob dieser Tim die Wahrheit sagt.«
    »Du hast Dr. D. nie gemocht.«
    »Was zum Henker willst du damit sagen, Martina?«
    »Du hast ihn nicht gemocht. Jetzt ist er tot. Das müsste dir doch gefallen. Keiner mehr, der deinen Rasen kaputtmacht.«
    Frank dreht sich von ihr weg, schlägt mit der Stirn gegen den Hängeschrank.
    »Herrgott, Martina, geht das jetzt wieder los? Glaubst du ernstlich, es ist meine Schuld, dass Dr. D. tot ist und Jonny nicht heimkommt? Ich dachte, das hätten wir neulich geklärt.«
    »Jonny ist tot, erzähl mir nicht, dass es anders ist. Ich will endlich wissen, was du am Samstagnachmittag getan hast, und was ist mit dem …«
    Er stürmt an ihr vorbei, reißt seinen Schlüsselbund vom Haken. Sekunden später knallt die Haustür ins Schloss.

    Die Stadt fiebert. Wie ein zuckendes, überhitztes Organ kommt sie Manni vor. Die sich ankündigende Dämmerung hat die Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen getrieben. Ein Geruchsmischmasch aus Grillfleisch, Parfüm, Asphalt undBenzin wabert durch die geöffneten Autofensterscheiben, begleitet von Musikfetzen und Gelächter. Am Aachener Weiher lümmeln leichtbekleidete Studentinnen und ihre Begleiter Kölsch trinkend auf der Wiese, hier und da qualmt ein Grill, im Biergarten sitzen sie dicht an dicht und reden aufeinander ein. Lauter schöne, junge, braungebrannte Menschen, die den Anspruch auf ihr Glück als eine Selbstverständlichkeit verbuchen, so selbstverständlich, dass sie nicht einmal darüber nachdenken. Seit wann ist es so, dass er sich ihnen nicht mehr zugehörig fühlt?
    Die Ampel schaltet auf Grün, Manni gibt Gas,

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