Unter dem Eis
sich um die meditativen Ambitionen seines Chefs zu scheren. »Du hast Glück, dass ich ein großes Herz habe.«
Manni zwingt sich zu einem Lächeln.
»Am Kopf selbst weist nichts auf eine Ausblutungsblässe hin, unterm Mikroskop habe ich keine Anzeichen von Zellbildung gefunden. Post mortem also, würde ich sagen«, verkündet der Rechtsmediziner.
»Das heißt, der Dackel war schon tot, als man sein Ohr abschnitt.«
»Das wäre mein Tipp, ja. Ein Tipp, wohlgemerkt. Aber bei der Bisswunde bin ich ziemlich sicher.«
»Bisswunde?«
»An der Kehle. Eine Schlagader ist angeritzt, das führte aber offenbar nicht zu massiven Blutungen. Kein Herzschlag, keine Blutung - so einfach ist das.«
»Was für eine Bisswunde?«
»Die Zahnstellung legt ein größeres Tier nahe. Einen Kampfhund vielleicht. Oder einen Schäferhund.«
»Ein großer Hund hat den bereits toten Dackel in die Kehle gebissen?«
»Spreche ich etwa chinesisch?« Karl-Heinz Müller poliert hingebungsvoll seine Boulekugeln, bevor er sie zurück in den Holzkasten legt. Der Chansonnier im Transistorradio säuselt: L’Amour, L’Amour.
»Woran ist Jonnys Dackel gestorben, Karl-Heinz?«, fragt Manni. »Hast du irgendeine Idee?«
»Ich will nicht zitiert werden, aber aus fachlichem Interesse hab ich mir unseren pelzigen Kandidaten natürlich schon ein bisschen genauer angeschaut, wo er schon mal da ist. Es gibt Hinweise auf akute Blutstauungen der inneren Organe und ein Lungenödem.« Offenbar animiert durch die Erwähnung des Atemorgans, zündet der Rechtsmediziner eine Davidoff an. »Wasser in der Lunge«, präzisiert er dann. »Wobei nur ein Veterinärmediziner sicher erkennen könnte, wie hoch der Flüssigkeitsgehalt einer Dackellunge normalerweise ist.«
»Kannst du das etwas präziser ausdrücken?«
»Könnte ein Hinweis auf einen Kreislaufkollaps sein. Ungewöhnlich bei so einem relativ jungen Hund.«
»Ungewöhnlich oder ausgeschlossen?«
»Es war heiß. Vieles ist möglich.«
»Irgendwas Entsetzliches ist Jonny in dieser Schutzhütte widerfahren. Irgendwas, was vermutlich unmittelbar mit seinem Verschwinden und mit der Misshandlung seines geliebten Hundes in Zusammenhang steht.«
»Vielleicht ist der Hund in der Schutzhütte verendet.«
»Da gibt’s keine Spuren.«
»Vielleicht hat sich dein Junge nach dem plötzlichen Tod seines Hundes in der Schutzhütte verkrochen.«
Vielleicht, möglicherweise, könnte sein. Mannis Katerkopfschmerzen vom Morgen kommen mit Vehemenz zurück, das schlechte Gewissen wegen seiner Eltern belauert ihn, er fühlt sich ausgelaugt, als wäre er ein Anfänger, der in einem Karatewettkampf verzweifelt versucht hat zu punkten und am Ende erkennen muss, dass sein Gegner ein Schwarzgurt ist. Manni fährt sich mit der Hand durchs Haar, das nass in seinem Nacken klebt. Schon wieder hat er heute nichtserreicht. Die Filzerei in Frimmersdorf hat nichts gebracht, niemand hat etwas gesehen. In der Schule schwören sie weiterhin, dass Jonny keine Probleme hat, Petermann, der Indianerboss, ist aalglatt und leugnet jede Verbindung zu Frimmersdorf, Jonnys Stiefvater hat sich nicht gemeldet und Jonnys Freund Tim war wegen Sommergrippe nicht zu sprechen. Jonny ist tot. Das spüre ich. Ist es das, was der Täter ihnen mit der aufgebahrten Dackelleiche sagen will? Ist der tote Dr. D. eine Botschaft?
»Ein Junge hat panische Angst«, sagt Manni langsam. »Und sein Hund erliegt einem Kreislaufkollaps. Vielleicht ist die Ursache dieselbe.«
»Du meinst, der Dackel hatte Angst?« Karl-Heinz Müller guckt ungläubig.
»Na ja, ein Mensch kann doch wegen Stress einen Herzanfall kriegen, oder?«
»Herzversagen kann viele Gründe haben. Beim Menschen ist einer davon zu viel Stress, große Aufregung oder Todesangst. Warten wir auf das Ergebnis der Toxikologie. Im Magen des Dackels habe ich Reste eines Medikaments gefunden. Vielleicht ein Vitaminpräparat, vielleicht unsere Lösung. Morgen wissen wir mehr.«
»Ich brauche jemand, der sich mit Hunden auskennt.«
Karl-Heinz Müller klemmt seine Boulekugelkiste unter den Arm und bringt mit einem gezielten Tastenhieb endlich den französischen Chansonnier zum Verstummen.
»Angst«, sagt er ungläubig. »Was bitte sollte für einen 14 -jährigen Jungen und einen Dackel gleichermaßen furchterregend sein?«
Es wird schon dunkel, als er das Auto seines Vaters hört. Ein tiefes Brummen, dann das leise Quietschen des Garagentors. Tim zieht die Bettdecke bis ans Kinn. Mit geschlossenen
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